Von Dr. Rainer Six und Andrea Andromidas
Durch zunehmende kriegerische Auseinandersetzungen, Massenmigration, Terroranschläge, wirtschaftliche Imbalancen und zunehmende Differenzen zwischen vermögenden und armen Gesellschaftsschichten gerät die bisher gewohnte Weltordnung wohlhabender Industriestaaten ins Wanken. Gründe hierfür sind einerseits das ungebremste Bevölkerungswachstum mit steigenden Ansprüchen an Lebensqualität und Bedarf an Ressourcen, Energie und Nahrung, andererseits deren ungerechte Verteilung. Ursache hierfür sind Privilegien einer gebildeten und wohlhabenden Gesellschaftsschicht, die die Produktivität ihrer Mitmenschen zur Wertschöpfung nutzen, sie aber nicht im gleichen Maße daran profitieren ließen und lassen und auch nicht daran interessiert waren und sind, deren Bildungsstand nachhaltig zu verbessern. Solange diese benachteiligten Bevölkerungsgruppen ihre Grundbedürfnisse eines erträglichen Lebens befrieden können, entsteht kein Gefährdungspotential und die Abhängigkeit wird als Selbstverständlichkeit akzeptiert. Bei drastischen Einschnitten in die individuelle Freiheit und Versagen gewohnter Lebensansprüche kann die Toleranzschwelle schnell erreicht werden, die zu einer heftigen Gegenreaktion führen kann. Folgen sind soziale Verwerfungen, Verlust von Moral und Idealen, die Gesellschaft driftet auseinander und zerfällt in zwei Lager, die kaum noch konsensfähig sind.
Ausweg aus dieser fatalen Entwicklung ist eine wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Neuorientierung und eine Überwindung der geopolitischen Konfrontationspolitik. Das Blockdenken West gegen Ost, Industrienationen im Kampf um wirtschaftliche Vormachtsstellung, Kontinent gegen Kontinent, Abschottung der Weltmärkte USA, Europa, Asien, Indien, Japan und Entwicklungsländer Afrika (trotz Bodenschätze) und osteuropäische Länder müssen beseitigt werden.
Eine Wende, so hoffen die Teilnehmer an den Verhandlungen auf dem Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos im Januar 2017, dass die Weltgemeinschaft die Unumkehrbarkeit der globalen Wirtschaftsentwicklung, aber auch die daraus zu nutzenden Vorteile für alle erkennt und sich gemeinsam für den Erfolg einer Wirtschaftsstrategie einsetzt. Dass ausgerechnet Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel nicht an dieser Veranstaltung teilnimmt, ist bedauerlich und zeugt nicht von politischem und wirtschaftlichen Weitblick.
Die Notwendigkeit und Vorteile bilateraler Zusammenarbeit bestätigen Wirtschaftsabkommen zwischen den BRICS-Staaten (Abkürzung von: Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika), die sich zusammengeschlossen haben, um gemeinsam eine Politik wirtschaftlicher Entwicklung nicht nur für ihre eigenen Länder, sondern zum Wohl der gesamten Menschheit zu betreiben.
China hat kürzlich die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) ins Leben gerufen, der sich mehr als 20 Nationen Asiens als Gründungsmitglieder angeschlossen und einen Entwicklungsfonds für die Seidenstrasse gebildet haben. Bei der APEC-Konferenz in Beijing hat Chinas Präsident Xi Jinping den ausgeschiedenen US-Präsidenten Obama aufgefordert, sich den Bemühungen Chinas und anderer asiatischer Nationen einschließlich Rußlands zum Aufbau der Neuen Seidenstraße anzuschließen. Im Gegensatz zu der von Obama favorisierten Transpazifischen Partnerschaft (TPP), von der Rußland und China ausgeschlossen sind, stehen die Initiativen der BRICS-Staaten, darunter die von China vorgeschlagene Freihandelszone für Asien und den Pazifik (FTAAP), allen offen. Auf dem jüngsten G-20-Treffen in Australien sprachen deshalb sowohl Präsident Xi Jinping als auch der indische Premierminister Narendra Modi von dem doppelten Ziel, durch wirtschaftliche Entwicklung Frieden auf der Welt zu schaffen und die Armut zu beenden.
Der Schlüssel zur Integration Europas in die Entwicklungskorridore der Neuen Seidenstrasse ist Deutschland, das in der Vergangenheit Zentrum der Handels-und Kulturentwicklung zwischen Asien und Europa war. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos wurde deutlich, dass die Wirtschaftsbeziehungen zu China und deren wirtschaftliche Entwicklung von großem Interesse sind, da sich Präsident Xi Jinping für eine Politik der offenen Märkte einsetzen will. Er plädiert für eine offene globale Wirtschaft und fordert die weitere Liberalisierung des internationalen Handels zu unterstützen. Desweiteren soll der Marktzugang für ausländische Unternehmen vereinfacht, erleichtert und die Rechtssicherheit verbessert werden. Die dringendste Aufgabe ist es, die Weltwirtschaft vor einer drohenden Rezession zu bewahren und so zu einer Schicksalsgemeinschaft der Industrienationen führen muß. China ist eines der Länder, das in den vergangenen 30 Jahren am meisten von der Globalisierung profitiert hat. Hunderte Millionen Menschen entkamen der Armut, weil sie Arbeitsplätze in neuen Industrien fanden, die überwiegend für den Weltmarkt fertigten.
Von einem Wirtschaftswachstum Chinas für 2016 von 6,7 % , trotz Rückgang, träumen die meisten europäischen und amerikanischen Industrien und sind deswegen gut beraten, sich von nationalen und hegemonistischen Wirtschaftsprinzipien zu lösen und alternative Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.
Der Arbeitnehmeranteil an der Produktivitätsentwicklung und Erwirtschaftung des Sozialprodukts der westlichen Industriestaaten hat sich in den letzten 40 Jahren drastisch verändert, nämlich von der Schaffung materieller Produkte und Güter in der Landwirtschaft, im Baugewerbe, im Bergbau und in Produktionsanlagen für Gebrauchsgegenstände wie Autos, Maschinen etc. hin zu Dienstleistungen (Verwaltung, soziale Dienste, Lehrberufe, Dienste im Gesundheitswesen, Justiz und Politik, usw.). Das kann langfristig nicht funktionieren und muß dringend geändert werden, zumal ein Großteil der Weltbevölkerung am Rande des Existenzminimums lebt, dringend Versorgungsgüter benötigt und nicht an qualifizierten Produktionsprozessen beteiligt ist.
In der folgenden Kabinett-Ausgabe möchten wir Sie mit dem Bericht „Projekte, die die Welt verändern“ mit auf die Reise von Europa nach Asien mitnehmen und Ihnen veranschaulichen, welch enormes Potential in einer gemeinschaftlich getragenen Weltwirtschaftspolitik zum Wohle der Menschheit und Sicherung des Weltfriedens schlummert.
Journal Kabinett 1/2017, Seite 34-35