Nicht Deutschland sollte sich in der Energiepolitik als Vorbild halten. Deutschland sollte sich vielmehr andere Staaten zum Vorbild nehmen.
Die Vereinten Nationen, die Internationale Energieagentur (IEA) und der Weltenergierat (WEC) machten auf einem gemeinsamen Symposium im September 2019 in London auf die inhärenten Eigenschaften der Kernenergie als saubere und zuverlässige Stromquelle aufmerksam. Diese und andere namhafte Organisationen betrachten die Stromerzeugung mittels Kernenergie – bereits in ihrem siebten Jahrzehnt – als eine bestehende und bewährte Lösung für die Herausforderungen des Klimawandels im 21. Jahrhundert und für eine nachhaltige Energiewende [1].
Ein im Oktober letzten Jahres veröffentlichtes UN-Dokument kam zu dem Schluss, dass ein starker Ausbau der Kernenergie dazu beitragen würde, die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen. Dieser Sonderbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) – Globale Erwärmung von 1,5 Grad – wurde 2015 von den Regierungen auf der COP21 in Paris in Auftrag gegeben. Bemerkenswerterweise war in Medien darüber nichts zu lesen.
Die Kernenergie ist eine etablierte Quelle für stabilen und bezahlbaren Strom weltweit, wurde auf dem Symposium betont, aber sie kämpfte darum, die Anerkennung zu erhalten, die sie für ihren Beitrag zur Entwicklung sauberer Energie verdient. Kernkraftwerke seien unersetzlich für die Dekarbonisierung, da bestehende Kernkraftwerke bereits die Emission von etwa 2 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr vermeiden. In 15 bis 20 Jahren stellt sich die Frage, inwieweit die Kernenergie zur Vermeidung des Klimawandels beitragen wird, da Entscheidungen über die Verlängerung der Lebensdauer der heute in Betrieb befindlichen Reaktoren und den Bau neuer Reaktoren getroffen werden müssen.
Kernreaktoren erzeugten 2018 insgesamt 2563 TWh Strom, verglichen mit 2502 TWh im Jahr 2017. Dies war das sechste Jahr in Folge, in dem die Erzeugung von Kernkraftwerken mit 217 TWh mehr als im Jahr 2012 angestiegen war. Letztes Jahr lag die weltweite Verfügbarkeit der Kernkraftwerke im Mittel bei 79,8% nach 81,1% im Jahr 2017, ein Wert, der aber immer noch auf dem hohen Leistungsniveau seit 2000 liegt [1].
Im vergangenen Jahr starteten Neubauprojete mit einer Gesamtkapazität von 6,3 GWe: Bei Akkuyu 1 in der Türkei, Hinkley Point C in Großbritannien, Kurst II-1 in Russland, Rooppur 2 in Bangladesch und Shin-Kori 6 in Südkorea [1].
In den Jahren 2016-2017 begann der Bau von insgesamt 13 neuen Einheiten: Acht in China, zwei in Pakistan und je eine in Russland, Südkorea und den USA. Bis 2020 sollen 19 Einheiten in Betrieb gehen: Neun in China, zwei in Belarus und Russland sowie je eine in Finnland, Indien, Japan, der Slowakei, Südkorea und den Vereinigten Arabischen Emiraten [1].
Dem Bericht [1] zufolge sollen in den fünf Jahren zwischen 2016 und 2020 in 11 Ländern 47 neue Reaktoren in Betrieb sein, darunter entschieden sich zwei Länder erstmals für die Kernenergie. Insgesamt erhöhen diese 47 Reaktoren die globale Kernkraftkapazität um 15% [1].
Es ist kein Geheimnis, dass in mehreren westlichen Staaten der Einsatz von Kernkraftwerken in der Öffentlichkeit trotz überzeugender Betriebsbilanz der Kernkraftwerke kritisch gesehen wird. Man mag sie mögen oder nicht, bereits der Club-of-Rom hat die Kernenergie für unverzichtbar gehalten. Angesichts der weltweit angestrebten Vermeidung der Verbrennung fossiler Energierohstoffe, die sogenannte Decarbonisierung, bleibt die gesicherte Stromerzeugung durch Kernkraftwerke die einzige Option. Deutschland hat den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Die Hoffnung, dass weitere Staaten diesem Beispiel folgen, erfüllt sich nicht. Im Gegenteil, Betriebsverlängerungen und Neubauten auch in der westlichen Welt stehen auf der politischen Agenda. Es mehren sich in Deutschland die Stimmen, die den Ausstiegsbeschluss als riesige politische Fehlentscheidung erachten. Denn es dürfte inzwischen auch bereits bei Politikern angekommen sein, dass mit der erneuerbaren Energie ohne geeignete Speichertechnologien keine sichere Stromversorgung möglich ist und zwar unabhängig vom Zubau neuer Wind- und Solaranlagen. Was bleibt? Deutschland wird nach dem Kohleausstieg Strom aus den Nachbarländern zukaufen müssen, wozu auch Strom aus Kernkraftwerken gehört, denn auch Gaskraftwerke erzeugen Kohlendioxid, was man vermeiden will. Von einer realistischen und durchdachten Politik zur Stromzeugung kann in Deutschland keine Rede sein.
Auch in diesem Zusammenhang möchte ich erneut auf eine bedenkenswerte These des Ethikers Wilhelm Korff hinweisen:
„Ein Tun, das einem sittlichen guten Ziel dienen soll, ist ethisch nur gerechtfertigt, wenn die als Nebenfolge eintretenden Übel geringer sind als Übel, die aus einem Handlungsverzicht erwachsen würden.
[1] World Nuclear News, „Nuclear Power is the ’silent giant’ being invited finally to speak”, 06. September, 2019