Kann Wasserstoff das Energieproblem lösen?

Im Zuge des mittelfristig angestrebten Ausstiegs aus der Verbrennung fossiler Energieträger gewinnt der Wasserstoff als Energiespeicher (Power-to-Gas), zur Nutzung überschüssigen Stroms (Elektrolyse) und für die CO2-freie Mobilität zunehmend an öffentlichem Interesse. Man gewinnt aus den Verlautbarungen den Eindruck, dass offenbar der Wasserstoff die Energiewende retten soll. Wie ist der Einsatz des Wasserstoffs anstelle bisheriger fossiler Energiequellen zu bewerten? Sind die wissenschaftlichen, technischen und strukturellen Voraussetzungen dafür gegeben? Ist es erneut wie bei der Energiewende eine Sackgasse? Wie steht es um die ökonomischen Gegebenheiten? Die Meinungen dazu gehen weit auseinander.

Politische Pläne

Auf Einladung der Bundesminister für Wirtschaft, Verkehr und Entwicklung wurde auf einem Kongress Ende 2019 die zukünftige Rolle von Wasserstoff in der Energiewende und für den Klimaschutz auf breiter Basis diskutiert [0]. Bundeswirtschaftsminister, Peter Altmaier, sieht „in den gasförmigen Energieträgern, vor allem in Wasserstoff einen Schlüsselrohstoff für eine langfristig erfolgreiche Energiewende“.

Die Bundesrepublik Deutschland, Nordrhein-Westfalen und die Niederlande haben am 29.1.2020 eine Machbarkeitsstudie über die Schaffung einer transnationalen Wertschöpfungskette für „grünen“ Wasserstoff von der Nordsee bis hin zu industriellen Clustern im Grenzgebiet der Niederlande und Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegeben [1]. „Grüner“ Wasserstoff ist Wasserstoff, der mittels regenerativer Energie gewonnen wurde.

„Ziel des Projekts ist es, die Durchführbarkeit von transnationalen Business Cases mit grünem Wasserstoff im Gebiet der Niederlande und Nordrhein-Westfalen zu untersuchen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Erschließung des Potenzials für eine Verringerung der Treibhausgasemissionen und der Steigerung des Einsatzes erneuerbarer Energien im Industriesektor durch die Produktion, den Transport und den industriellen Einsatz von grünem Wasserstoff.“ Aus Sicht der Bundesregierung sei „nur CO2-freier, also grüner Wasserstoff auf Dauer nachhaltig“.

Überdies will Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier die „Wasserstoff-Technik für den Einsatz in vielen Sektoren fördern und dafür 1,4 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung bis 2026 im Rahmen des Nationalen Innovationsprogrammes Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) vergeben.“

Angaben zum Wasserstoff (H)

Wasserstoff ist auf der Erde hauptsächlich in Form chemischer Verbindungen (Wasser, Säuren, Kohlenwasserstoffen und anderen organischen Verbindungen) in nahezu unbegrenzten Mengen vorhanden. In Reinform tritt Wasserstoff auf der Erde nur in molekularer Form als H2 auf. Das farb- und geruchslose Gas hat ein spezifisches Gewicht von 0,0899 g/l. Wasserstoff ist nicht toxisch und verursacht bei Verbrennung keine Umweltschäden, ist insofern umweltneutral. Seine Energiedichte ist vergleichsweise gering:

Wasserstoff hat bei 26 0C und 1 bar einen Energiegehalt von 3 kWh/m3, im Vergleich dazu Benzin 9,2 x 103 kWh/m3.

Die Wasserstoff-Herstellung ist zwar aufwendig, somit kostenintensiv aber technisch gut erprobt. Die am weitesten entwickelten Verfahren sind das Reformierungsverfahren [2] und die Wasser-Elektrolyse. Zu beachten: Zur Herstellung von einem Kilogramm Wasserstoff durch Elektrolyse werden 9 kg Wasser sowie (einschließlich Verflüssigung, Transport, Lagerung und Verteilung) etwa 100 kWh Strom benötigt [7].

Eine wesentliche Eigenschaft des Wasserstoffs ist aufgrund seiner geringen atomaren Größe seine Diffusion durch Festkörper, mit anderen Worten, Wasserstoff lässt sich nur unter ständigem Verlust einsperren. Der physikalische Vorgang der Diffusion wird in [6] erläutert.

Wasserstoff hat ohne Frage bereits einen breiten Anwendungsbereich. Er dient als bedeutender Ausgangsstoff zur Herstellung von Ammoniak (Haber-Bosch-Verfahren), von Salzsäure, Methanol, Anilin, um nur einige Beispiele zu nennen. Wasserstoff wird als Schweißgas eingesetzt und in der Metallurgie benötigt man ihn als Reduktionsmittel zur Gewinnung von Metallen. Infolge seiner hohen Wärmekapazität wird er auch als Kühlmittel verwendet.

Wasserstoff ist in begrenztem Maße bei Antriebsmotoren und bei Brennstoffzellen im Einsatz. Beide Anwendungsgebiete befinden sich mehr oder weniger noch in der Erprobungsphase.

Was sagen die Wasserstoff-Befürworter?

Eine faszinierende Idee: Beim Einsatz von Wasserstoff zum Beispiel in Antriebsmotoren entsteht aus Wasserstoff und Luft ohne Ausstoß von Treibhausgasen nur sauberer Wasserdampf. Eine brillante ökologische Bilanz.

Der Bundesrat [3] sieht in einem „umfassenden Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft auf der Basis erneuerbarer Energien den grünen Wasserstoff als Wegbereiter für die Umsetzung der Klimaziele. Aus erneuerbaren Energien erzeugter Wasserstoff bietet die Möglichkeit, die Defossilierung (Anm.: Vermeidung von Kohle, Öl, Erdgas) umzusetzen, die einer direkten Elektrifizierung aus technischen oder ökonomischen Gründen nur schwer zugänglich sind. „Grüner“ Wasserstoff kann dafür direkt oder weiterverarbeitet in Form von synthetischem Gas (zum Beispiel Methan) oder synthetischem flüssigen Kraftstoff (zum Beispiel Methanol) genutzt werden. Als Bindeglied zwischen Strom- und Gassektor bietet „grüner“ Wasserstoff zudem die Möglichkeit, künftig zwei Wege zum Transport von erneuerbaren Energien zu nutzen. Auf diese Weise kann das erhebliche volkswirtschaftliche Kapital der Gastransport- und Gasspeicherinfrastruktur effizient in den Wandel der Energieerzeugung eingebunden werden.“

Auf Anfrage erläuterte die Bundesregierung: „Die Auswertung bisheriger Förderprojekte zum Wasserstoff-Verbrennungsmotor zeigt, dass dieser mit den konventionellen Antrieben konkurrenzfähig sein kann. Hinsichtlich der Energieeffizienz und einer potenziellen Effizienzsteigerung zeigte der Wasserstoff-Verbrennungsmotor im Vergleich zur Brennstoffzellen- Technologie schlechtere Eigenschaften. Deshalb liegt der Fokus des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) bei der Förderung im Nationalen Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) auf Brennstoffzellenanwendungen mit dem Ziel, hier Kostenreduktionen und Leistungsverbesserungen zu erzielen“ [4].

In einer ausführlichen Studie informiert Shell in Zusammenarbeit mit dem Wuppertaler Institut über den Stand der Wasserstoff-Gewinnung und über Anwendungstechnologien sowie über das Potenzial und Perspektiven des Wasserstoffs als Energieträger [5]. Neben stofflichen und nicht-automobilen Anwendungen stehen der Einsatz von Wasserstoff im Straßenverkehr und hier speziell in Brennstoffzellen im Fokus. Ein klares Bekenntnis zum Wasserstoff im Sinne der Lösung des Energieproblems wird vermieden, vielmehr wird gesagt, dass „Wasserstoff als Energieträger und Brennstoffzelle als Energiewandler einen wichtigen Beitrag zur Energiewende und damit zur Erreichung des globalen 2 0C-Klimaziel leisten können.“ Trotz „signifikanter“ Fortschritte in der Anwendungstechnologie seien für einen „breiten kommerziellen Einsatz im globalen Energiesystem“ allerdings weitere Förderung seitens des Staates notwendig.

Kostenberechnungen der Wasserstofferzeugung werden nicht angestellt. Hierzu wird auf spezielle Publikationen verwiesen (Abb. 1). In der Abbildung wird zwischen zentraler und dezentraler Erzeugung und drei Erzeugungsarten unterschieden.  Die geringeren Kosten der

Abb. 1: Erzeugungskosten von Wasserstoff [5]

Wasserstoff-Erzeugung fallen bei der zentralen Erdgasreformierung an (Mittelwert hier 1,4 €/kg). Deutlich höher liegen mit 6 bis 8 €/kg die Kosten bei elektrolytischer Erzeugung.

Was sagen die Wasserstoff-Skeptiker?

Die relativ günstige Gewinnung von Wasserstoff aus Erdgas (siehe obige Abbildung) ist kein nachhaltiger Weg, denn nach Versiegen der Erdgasquellen wird Wasserstoff nur noch durch die kostenintensive elektrolytische Spaltung von Wasser zu erzeugen sein. Dafür wird Gleichstrom benötigt und zwar weitaus mehr, als selbst mit fortschrittlichster Technik jemals aus dem erzeugten Brenngas zurückgewonnen werden kann. Bei der Elektrolyse wird elektrische Energie in chemische Energie umgewandelt. Wasserstoff ist also keine Energiequelle, sondern lediglich ein Sekundärenergieträger, vergleichbar mit dem Wasser in einer Zentralheizung [7].

Jede Stufe der Energiekette, von der Erzeugung des Wasserstoffs bis zu seiner Nutzung, ist mit Energieverlusten und Energieaufwand verbunden, argumentiert Bossel [7], der den Wasserstoff-Einsatz in seiner Substitutionsfunktion sehr kritisch unter die Lupe nimmt.  Bei Wasserstoff seien die Energieverluste jedoch so groß, dass dem Wasserstoffverbraucher hinter einer effizienten Brennstoffzelle nur noch ein Viertel der elektrischen Primärenergie zur Verfügung steht. Nur ein Viertel des erneuerbaren Stroms wird genutzt, während drei Viertel ungenutzt verloren gehen. Diese Verluste sind physikalisch bedingt und können auch durch zusätzliche Forschungen nicht wesentlich verringert werden (vergleiche Abb. 2).

        Abb. 2: Wirkungsgradverluste bei der Wasserstoffwirtschaft (Bossel 2003) [7]

Zum Vergleich: Zwischen Ölquelle und Tankstelle werden 8 bis 12 % der flüssigen Energie für Förderung, Raffinierung und Transport benötigt. Allein die Kompression des Wasserstoffs auf 200 bar verschlingt etwa 9 % des Energieinhaltes.

Da lediglich 50 % des für die Elektrolyse benötigten Strom beim Verbraucher als nutzbarer Wasserstoff ankommt, dürfte die im Wasserstoffgas enthaltene Energie mindestens doppelt so teuer sein wie der Strom aus der Steckdose.

Im gegenwärtigen Wettbewerb mit Erdgas und Benzin kann Wasserstoff nicht mithalten. Bei 200 bar beträgt der Energieinhalt in einem Liter Wasserstoff 0,722 kWh, in gleicher Menge Erdgas 2,22 kWh und einem Liter Benzin 9,39 kWh.

„Die Tankreichweite in einem Brennstoffzellen-Auto spricht gegen Wasserstoff als Energieträger“, schreibt Peters [8]. So könne beispielsweise der Wasserstoff-Toyot Mirai mit einem Tankvolumen von riesigen 240 Litern bei 700 bar gerade mal 5 kg Wasserstoff speichern. Dieser Energiegehalt entspricht etwa 20 Liter Dieselkraftstoff, was für etwa 300 km Reichweite ausreicht.

„Grüner“ Wasserstoff soll, so ist zu hören, mit „überschüssigem“ Strom aus Solar- und Windenergieanlagen erzeugt werden. Da es ein Zuviel an Wind- und Solarstrom nur an wenigen Stunden verteilt über das Jahr gibt, müssten die Elektrolyseanlagen für den Betrieb an diesen wenigen Stunden ausgelegt sein. Mit Sicherheit wäre deren Betrieb nicht wirtschaftlich. Oder, und das wäre geradezu grotesk, müssten, um einen wirtschaftlichen Betrieb zu ermöglichen, eigens dafür Ökoanlagen bereitgestellt werden, wobei deren preiswerter Strom für die Erzeugung teuren Wasserstoffs verwendet wird.

Sicherheit

Eine charakteristische Eigenschaft des Wasserstoffs ist seine hervorragende Brennbarkeit und zusammen mit Sauerstoff die Bildung des explosiven Knallgases. Die maximale Flammengeschwindigkeit von Wasserstoff ist zirka acht Mal größer als die der kohlenwasserstoff-basierten Gase. Dies erklärt die Tendenz zu hohen Brenngeschwindigkeiten und auch die möglichen Umschläge in Detonationen. Aufgrund dieser Eigenschaften erfordert der Umgang mit Wasserstoff größte Sorgfalt.

Fazit

Die künftige Bedeutung des Wasserstoffs im Zuge der Energiewende wird von Bossel [7] nachvollziehbar beschrieben: „Der Übergang von der heutigen, vom Erdöl dominierten Energiewirtschaft zu einer nachhaltigen, von regenerativ erzeugtem Strom geprägten, basiert also nicht auf einer einfachen Substitution fossiler Energieträger durch synthetischen Wasserstoff. Komplexe Veränderungen müssen in allen Bereichen der Energietechnik bedacht werden: Erzeugung, Verteilung, Speicherung und Nutzung sind in jedem Fall zu berücksichtigen. Die Energiewirtschaft wird quasi auf den Kopf gestellt. Während chemische Energieträger heute die Ausgangsbasis bilden, wird es in Zukunft Strom aus erneuerbaren Quellen sein. Heute ist Elektrizität die sekundäre Energieform, morgen ist es der künstliche erzeugte Energieträger Wasserstoff. Während heute Erdgas und Erdöl preisbestimmend sind, wird es in Zukunft Strom aus regenerativen Quellen sein. Strom wird zur Leitwährung im Energiemarkt. Der aus Strom gewonnene Wasserstoff wird deshalb immer teurer sein als die regenerativ erzeugte Elektrizität. Daran lässt sich nicht rütteln, weder mit politischen Entscheidungen noch mit aufwändigen Entwicklungsprogrammen.“

Die Nachvollziehbarkeit dieses Weges gilt unter der Voraussetzung eines dauerhaften Verzichts auf die Nutzung der Kernenergie. Der zurzeit in der Entwicklung befindliche „Small Modular Reactor“ (SMR) stößt weltweit auf großes Interesse. Dieser Reaktortyp von vergleichsweise kleiner Leistung und mit inhärenter Sicherheitstechnik könnte als Strom- und Wärmelieferant vollkommen neue Anwendungsgebiete aufzeigen, dem sich auch Deutschland zur Sicherung seiner wirtschaftlichen und industriellen Leistungsfähigkeit auf Dauer nicht entziehen kann.

Abschließend nur ein dem Artikel von Bossel [7] entnommenes Beispiel dafür, was uns erwartet, wenn Wasserstoff durch Elektrolyse erzeugt wird:

„Am Frankfurter Flughafen werden täglich 50 Jumbo-Jets mit je 130 Tonnen (160 m3) Flugbenzin befüllt. Die gleiche Energiemenge steckt in 50 Tonnen (715 m3) flüssigem Wasserstoff. Zur Betankung aller Jumbos mit Wasserstoff müssten täglich 2.500 Tonnen Flüssigwasserstoff bereitgestellt werden, für dessen Herstellung man 22.500 m3 sauberes Wasser und die elektrische Leistung von acht Kraftwerken von je 1 GW benötigt (zum Vergleich: Das AKW Biblis hat eine Leistung von 1,3 GW). Für die Versorgung aller Flugzeuge des Flughafens mit Wasserstoff müsste man den Wasserverbrauch der Stadt Frankfurt und die Energie von mindestens 25 Großkraftwerken einsetzen.“

 

[0] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/J-L/kurzpapier-wasserstoff.pdf?__blob=publicationFile&v=4

[1] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2020/20200129-auftakt-des-hy3-projekts.html

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Wasserstoffherstellung#Dampfreformierung

[3] Bundesrat Drucksache 450/19 (Beschluss), 08.11.2019

[4] Deutscher Bundestag Drucksache 19/12582, 22.08.2019

[5] shell-wasserstoff-studie-2017, „Energie der Zukunft?“, Nachhaltige Mobilität durch Brennstoffzelle und H2

[6] https://mediatum.ub.tum.de/doc/958296/958296.pdf

[7] http://leibniz-institut.de/archiv/bossel_16_12_10.pdf

[8] https://peterscoll.de/?page_id=54, Björn Peters, Die Energiefrage #68, 15.11.2019