Das ehemalige Salzbergwerk, nach Betriebsende für Forschungszwecke dort eingerichtete Versuchsendlager Asse II bei Remlingen in Niedersachsen war (wieder einmal) Thema in einem öffentlichen Fachgespräch des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit [1]. Für Asse II gibt es den gesetzlichen Auftrag einer unverzüglichen Stilllegung. Hierzu wird die Rückholung sämtlicher in Asse II eingebrachten radioaktiver Abfälle gefordert. In der Mitteilung [1] heißt es: „Für die Rückholung der Abfälle seien nicht nur ein Rückholbergwerk, sondern auch der Bau einer Abfallbehandlungsanlage mit einem Zwischenlager notwendige Voraussetzungen. Der Bau des Rückholbergwerks solle nach aktueller Planung im Jahr 2023 starten. Zehn Jahre später solle mit der Bergung der Abfälle begonnen werden.“
„Ob und wieweit eine Rückholung tatsächlich machbar ist, insbesondere unter den Aspekten Zeitlimits (Standfestigkeit der Grube), Sicherheit und Strahlenschutz für die Bergleute sowie Akzeptanz seitens lokaler Bevölkerung für ein oder gar mehrere neue, in jedem Fall notwendige übertägige Zwischenläger“, war und bleibt für die KTG [2] völlig offen.
Die Rückholung wird 2013 mit breiter politischer Mehrheit vom Bundestag gesetzlich festgeschrieben [9]. So heißt es in Paragraph 57b des Atomgesetzes heute: „Die Schachtanlage Asse II ist unverzüglich stillzulegen. Die Stilllegung soll nach Rückholung der radioaktiven Abfälle erfolgen.“
Nach einem Bericht des Bundesrechnungshofes könnte die Rückholung der radioaktiven Abfälle 5 Milliarden Euro kosten. Wenn das man reicht. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung rechnet auf ihrer Internetseite „gegenwärtig bereits bis zum Beginn der Rückholung – einschließlich des Aufwands für die Offenhaltung und Umsetzung der Vorsorgemaßnahmen der Notfallplanung – mit Kosten von rund 3,35 Milliarden Euro.“
Die gesetzliche Festlegung zur Rückholung der radioaktiven Abfälle hat in Fachkreisen erhebliche Kritik ausgelöst (vergl. hier):
So kritisiert „die Strahlenschutzkommission SSK [4], dass die Anwendung der Grundsätze der Rechtfertigung und der Optimierung in Hinblick auf einen möglichen Abbruch der Rückholung im Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Atomgesetzes im Jahr 2013 (Lex Asse 2013) ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Damit werden die Grundsätze des Strahlenschutzes als Ganzes erheblich eingeschränkt.“ Jahre zuvor hatte bereits der Vorsitzende der Endlagerkommission ESK deutliche Kritik an der Rückholung geäußert, was die Frage aufwarf, ob er noch als Vorsitzender haltbar wäre [3].
Für den Fachverband für Strahlenschutz FS [5] ist „aus Sicht des Strahlenschutzes die Rückholung der radioaktiven Abfälle aus der Schachtanlage Asse II sehr wahrscheinlich nicht die beste Lösung. Der Präsident des Fachverbands für Strahlenschutz befürchtet, dass dies zu mehr Dosis für die Beschäftigten und die Bevölkerung führen könnte als eine Verfüllung der Schachtanlage. Mit einer Rückholung wäre auch der Neubau des größten Zwischenlagers in Deutschland nötig. Auch dies sieht der FS kritisch.“
Für Fuchs [6], einem Geologen und Experte für Uranlagerstätten, stellt sich Frage, „warum seit Jahren in Deutschland ein schnelles und sicheres Verschließen der Asse im Gegensatz zum Verschluss von ausgesalzten Salzlagerstätten zur Katastrophe hochstilisiert wird? In anderen Ländern wurden und werden die meisten niedrig- und mittelaktiven Abfälle oberflächennah – meist weniger als zwanzig Meter tief – vergraben. Wie in meinen bisherigen Erläuterungen in aller Kürze aufgezeigt, ist die Strahlengefährdung der Bevölkerung durch das zusätzliche Einbringen von schwachaktiven und geringen Mengen mittelaktiven Abfällen in einen Salzstock im Vergleich zur natürlichen Umwelt-Strahlung relativ gering.“ Für Fuchs sind ideologische Gründe für die Rückholungsabsicht maßgeblich.
Das primäre Problem von Asse II sind nicht die eingelagerten Abfälle, sondern dass während der Salzgewinnung bis auf wenige Meter an die Grenze zum Deckgebirge Salz abgebaut wurde. Die hierdurch entstandenen Bergbewegungen (Konvergenzen) öffneten Wegsamkeiten für Wasser. Es handelt hierbei sich um Grundwasser aus dem umliegenden Gestein. Es ist mit Steinsalz gesättigt und führt daher nicht zu einer Auflösung des Salzes im Bergwerk. Der Zufluss in einer Tiefe von etwa 500 bis 575 Metern belief sich auf ca. 12 Kubikmeter pro Tag. Zwischen 1995 und 2004 wurde deshalb als erster Schritt zur Stabilisierung des Grubengebäudes und für einen anschließend zügigen Verschluss etwa 2,2 Millionen Kubikmeter Salzgruß (Material von alten Salzhalden) in die noch offenen Hohlräume des Bergwerks eingebracht und in die offenen Kammern eingeblasen. Ein Großteil der radioaktiven Abfälle ist dank der Einlagerungstechnik „Verkippen“ heute schon eng mit Salz verbunden und kommt deshalb heute und auch später viel weniger mit Wässern und Salzlaugen direkt in Kontakt.
„Verkippen“ von Abfallfässern mit radioaktiven Abfällen, 725 Meter Sohle Quelle dpa
Wie verhält es sich mit der Gefahr, die von den in Asse II eingelagerten radioaktiven Abfälle ausgehen soll? Hieraus wurde nie ein Geheimnis gemacht [7]. In dieser Stelle sei aber auf die vielen Zahlenabgaben (in Becquerel) verzichtet. Vielmehr ist ein Vergleich der eingelagerten Radioaktivität mit der natürlichen vorkommenden Radioaktivität in der Erdkruste interessant und aufschlussreich. Dazu schreibt Niemann [8]: „Die endgelagerten Stoffe in der Tiefe werden durch eine viel größere Menge von ebenfalls radioaktiven Stoffen im Deckgebirge überdeckt. Natürlich sind die endgelagerten Abfälle auf engerem Raum gelagert, und die Konzentrationen in der Tiefe sind sicherlich an vielen Stellen höher als die Konzentrationen der natürlichen Radioaktivität in der Erde. Warum aber sollten angesichts der viel größeren darüber lagernden Aktivität des natürlichen Gesteins gerade die Stoffe in der Tiefe eine Gefahr darstellen?“
Dazu eine Angabe von Dr. Hermann Hinsch, langjähriger Mitarbeiter der Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF), zu deren Zuständigkeitsbereich die ASSE II einst gehörte, in seinem Leserbrief an die Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 15.01.2020, die mit dem Titel: „Wann beginnt endlich die Asse-Sanierung“ das Asse-Thema wieder aufgriff:
„Kalium-40 ist Bestandteil des Kaliflözes, in ungeheuren Mengen vorhanden, zudem leicht löslich. Es kommt tatsächlich schon immer mit Wasser nach oben. In Groß Denkte (direkt an den Höhenzug Asse angrenzend) gibt es Quellen, die stärkste bringt 67.000 Bequerel pro Stunde an die Oberfläche. Groß Denkte hätte man längst evakuiert und für alle Zeiten für unbewohnbar erklärt, wäre das Radioaktivität aus dem Endlager.“
Kommentar
In dem offiziellen Informationsblatt „Asse Einblicke“ vom 05. Januar 2019 (Herausgeber Bundesgesellschaft für Endlagerung BGE) wird als Begründung für die Rückholung der radioaktiven Abfälle aus der Asse angegeben:
„Bei einem Verbleib der Abfälle im Bergwerk ist es nach derzeitigem Kenntnisstand nicht möglich, einen genehmigungsfähigen Langzeitsicherheitsnachweis zu führen.“
Angesichts der fachlich gut begründeten Ablehnung der Rückholung durch maßgebliche Experten des Strahlenschutzes ist diese Begründung nicht haltbar. Die Rückholung widerspricht eklatant den weltweit anerkannten Strahlenschutzgrundsätzen. Das Personal, das die Rückholung auszuführen hat, wäre real ungleich höheren Strahlenbelastungen ausgesetzt als jemals die Bevölkerung in fernen Zeiten durch (eher unwahrscheinliche) Aktivitätsfreisetzungen aus dem Endlager erhalten würde. Zudem ist die Endlagerung der rückgeholten Abfälle ungeklärt, sowohl was deren Endlagerfähigkeit betrifft (ein gewaltiger Konditionierungsaufwand wäre zu bewerkstelligen) wie auch die Aufnahmemöglichkeit im Endlager Konrad. Gewaltige Zwischenläger wären erforderlich.
In der Begründung zum Rückholungsgesetz [9] heißt es: „Der sich verschlechternde gebirgsmechanische Zustand der Schachtanlage und das nicht auszuschließende Risiko eines nicht mehr beherrschbaren Lösungszutrittes erfordern eine Beschleunigung der Arbeiten im Hinblick auf die sichere Stilllegung. Seither sind sieben Jahre vergangen, konkrete Schritte sind bislang nicht erkennbar. Überdies steht die Rückholung unter dem Vorbehalt, dass die „Machbarkeit (der Rückholung) abschließend erst auf der Grundlage der laufenden Faktenerhebung beurteilt werden kann“.
Weiter heißt es in der Begründung, die jeden Strahlenschutzverantwortlichen auf die Barrikaden treibt: „Gegenüber der geltenden Rechtslage sind (unter anderem) folgende Änderungen vorgesehen: Abbau von Vollzugsunsicherheiten und Schaffung von Vollzugserleichterungen durch
- Klarstellung der Möglichkeit zur Abweichungen von Vorschriften der Strahlenschutzverordnung bei Gewährleistung des erforderlichen Strahlenschutzes
- Ermächtigung für die Genehmigungsbehörde, die Störfallplanungswerte erforderlichenfalls abweichend von der Strahlenschutzverordnung festzusetzen
Angesichts des jahrelang in atomrechtlichen Genehmigungsverfahren ausgetragenen „Kampfes“ um die Einsparung jedes Millisievert, sind diese Abweichungen unfassbar und machen die bisherige Stringenz des Gesetzgebers im Strahlenschutz unglaubwürdig.
In der Gesetzgebung gilt der Grundsatz, Gesetze müssen einen legitimen Zweck verfolgen, geeignet, erforderlich und angemessen sein. Es ist nicht zu erkennen und nicht nachvollziehbar, dass weder die Rückholung geeignet, noch erforderlich, noch angemessen ist.
Die Coronakrise hat uns allen deutlich vor Augen geführt, wie wichtig in solchen Situationen der wissenschaftliche Sachverstand ist, der, und das kann nicht genug betont werden, die Grundlage für politische Entscheidungen bildete. Doch sobald in Deutschland kerntechnische Entscheidungen wie zum Beispiel im Fall Asse anstehen, dominieren politische Sichtweisen und der Sachverstand wird mehr oder weniger als lästig empfunden.
[1] https://www.das-parlament.de/2020/18_19/wirtschaft_und_finanzen/692864-692864
[2] KTG-Fachinfo 09/2020 vom 30.04.2020
[3] http://www.asse2.de/download/2012-01-18-pm-sailer.pdf
[5] https://www.fs-ev.org/fileadmin/user_upload/02_Der_FS/Pressetext_Rueckholung_Asse_2012.pdf
[6] Dr. Helmut Fuchs, ASSE: Die Fakten, Achgut.com, 10.03.2013
[7] Helmholtz Zentrum München, PG Jülich, abschlussbericht_inventar_asse vom31.08.2010
[8] Lutz Niemann, Der Asse-„Skandal“, Novo Argumente für den Fortschritt, 01.03.2009
[9] Gesetz zur Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der Schachtanlage Asse II, 24.4.2013