Weder verfüge ich über prophetische Gabe, noch liegt mir fern, mir auf die Schulter zu klopfen, aber die angekündigte Verschiebung der Standortauswahl für ein Endlager für wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle im angekündigten Ausmaß war vorauszusehen. Mit der Verabschiedung des Standortauswahlgesetzes (StandAG) im Jahre 2013 (Bundestagsdrucksache 17/13471) wurde dafür der „Grundstein“ gelegt.
Unsere Leser empfehle zuerst einen Blick auf den dazu verfassten Bericht zu werfen, bevor Sie die nachfolgende Information der Kerntechnischen Gesellschaft Fachinfo 28/2022 vom 15.11.2022 lesen.
Ende vergangener Woche hat die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) angekündigt, dass sie über die erste zeitliche Abschätzung zum weiteren Verfahren der Standortauswahl mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) in eine Diskussion eintreten möchte. Anfang dieser Woche hat BASE dazu Fragen grundsätzlicher Bedeutung aus seiner Sicht sowie Anhaltspunkte zur tatsächlichen zeitlichen Neueinschätzung öffentlich gemacht.
Aus der Mitteilung des BASE geht hervor, dass sich der Rahmen des Zeitbedarfs für die Standortauswahl vom bisher im Gesetz genannten Jahr 2031 auf den Zeitraum 2046 bis 2068 verschiebt. Unter der recht optimistischen Annahme des BASE zum weiteren Zeitbedarf nach der Standortentscheidung (vertiefte Erkundung, Vorbereitung und Beantragung einer Errichtungsgenehmigung, Genehmigungsverfahren, Klageweg, Errichtung, Betriebsgenehmigung, Inbetriebsetzung) von 20 Jahren würde sich daraus eine Inbetriebnahme des Endlagers für hoch radioaktive Abfälle und ggf. auch für einen Teil der schwach- und mittelaktiven Abfälle zwischen 2066 und 2088 ergeben.
Daraus leitet BASE einige Fragestellungen für die weitere Erörterung zum Zeitbedarf zwischen den drei Institutionen ab:
- Welche neuen Erkenntnisse liegen dem Zeitraum 2046-2068 für die Standortentscheidung zu Grunde?
- Wie wirkt sich der genannte Zeitbedarf von fünf weiteren Jahren bis zum Vorschlag von Standortregionen auf die künftigen Regionalkonferenzen und die Standortsicherung nach § 21 (StandAG) aus?
- Der Zeitbedarf im letzten Schritt von Phase 1 bis zum Vorschlag von Standortregionen geht gemäß der aktuellen Angabe der BGE mit zehn Jahren noch über das Worst-Case-Szenario der Endlagerkommission für diesen Verfahrensabschnitt hinaus. Welche Annahmen liegen der im Vergleich günstigeren Abschätzung für alle weiteren Schritte zugrunde?
- Wie ist die Ankündigung der BGE ab 2024 jährlich über die Reduzierung der Flächen gegenüber dem Zwischenbericht Teilgebiete zu berichten, damit zu vereinbaren, dass eine Entscheidung über die Eingrenzung der Standortregionen gemäß Standortauswahlgesetz (StandAG) dem Gesetzgeber vorbehalten ist?
- Planung, Genehmigung und Errichtung eines Endlagers werden nach der Standortentscheidung ca. 20 weitere Jahre in Anspruch nehmen. Damit könnten gemäß der Annahme der BGE die ersten hochradioaktiven Abfälle zwischen 2066 und 2088 eingelagert werden. Welche Auswirkungen hat dies auf die Auslegung und Sicherheit der Zwischenlager, deren Genehmigungen sukzessiv ab 2035 auslaufen?
- Welche Konsequenzen ergeben sich aus der zeitlichen Abschätzung für die Zwischenlagerung/Sicherheit der schwach- und mittelradioaktiven Abfälle, da für rund die Hälfte der LAW/MAW-Abfälle aus Deutschland die Entsorgungsperspektive derzeit an die Standortentscheidung über ein HAW-Endlager gekoppelt ist?
- Zwischenlagerung und Endlagersuche werden aus dem öffentlichen Fonds Kenfo finanziert. Was bedeutet die Verlängerung des Verfahrens für die verbleibenden Mittel?
- Welche neuen Randbedingungen ergeben sich angesichts der Angriffe auf Nuklearanlagen in der Ukraine und der Debatte um eine längere Nutzung der Kernenergie?
Das Thema Zeitbedarf des neuen Standortauswahlverfahrens ist seit der Beratung der ersten Fassung des StandAG umstritten. Die Endlagerkommission hatte mehrfach zwischen 2014 und 2016 beim Bundesumweltministerium eine fundierte Abschätzung eingefordert, die aber nie vorgenommen wurde. Schließlich erstellte die Endlagerkommission eine eigene Abschätzung, die als Worst-Case-Szenario die Standortentscheidung erst im Jahr 2079 angenommen hat und ein betriebsbereites Endlager erst weit im 22. Jahrhundert. Offiziell blieb es aber bis jetzt immer bei 2031 für den Abschluss der Standortauswahl und 2050 für ein Endlager. Das BASE hatte seinerseits nach Beginn des Verfahrens eine Abschätzung durch die BGE eingefordert, die nun vorliegt.
Vorwitzig gesprochen könnte man argumentieren, dass man angesichts solcher Zeitdimensionen gleich noch ein neues Kernenergieprogramm zwischendurch einschieben könnte. Zu nennenswerten Verzögerungen würde das wohl nicht führen, zumal für die Betriebszeit eines HAW-Endlagers rund 40 Jahre angesetzt werden (Ende KTG-Fachinfo).
Deutschland war einst führend in der Endlagerforschung und mit der Salzstockerkundung in Gorleben dem Ziel der Endlagerung bereits sehr nahe. Mit dem Regierungswechsel in 1998 wurde „das Rad neu erfunden“ und begann die Talfahrt. Die ungelöste Endlagerung war das immer wieder vorgeschobene Argument gegen die Kernenergienutzung. Es sollte nicht wundern, wenn es genau deshalb weiter gepflegt wird.
Von der obertägigen Zwischenlagerung sämtlicher Arten radioaktiver Abfälle scheint offenbar nicht (mehr) die Gefahr auszugehen, vor der vor Jahren von Politikern stets gewarnt wurde und auf schnellst mögliche untertägige Endlagerung gedrängt wurde. Aber die Politiker haben seither gewechselt und angesichts oben genannter Zeitspanne wird es noch viele weitere Wechsel geben, die neue Ideen einbringen! Ein open-end-Verfahren.
Selbst das seit zig Jahren in der Umrüstung zu einem Endlager für schwach- und mittelaktive Abfälle befindliche ehemalige Erzbergwerk Konrad macht mehr mit Verzögerungen als mit Fortschritten auf sich aufmerksam.
Wie man prinzipiell die Endlagerplanung hätte angehen sollen und müssen, wird uns von Schweden und Finnland vorgeführt.