„Ein unbequemer Energieträger für die Gestaltung der Energiewende“
Mit „grünem“ Wasserstoff bezeichnet man den durch Elektrolyse von Wasser (im Elektrolyseur) gewonnenen Wasserstoff, wobei der Strom für die Elektrolyse ausschließlich durch erneuerbare Energien wie z. B. Windenergie oder Sonnenenergie erzeugt wurde.
„Grüner Wasserstoff ist das Erdöl von morgen. Der flexible Energieträger ist als Schlüsselelement unverzichtbar für die Energiewende und eröffnet deutschen Unternehmen neue Märkte. Mit der Nationalen Wasserstoffstrategie machen wir Deutschland zu einem globalen Vorreiter“, verkündet das Bundesministerium für Bildung und Forschung auf seiner Webseite [1].
An keiner Stelle findet man allerdings offizielle Hinweise auf die Lagerung des grünen Wasserstoffs und seinen Transport, auf diesbezügliche Kosten, der Energieeffizienz möglicher Verwendungen und der Wirtschaftlichkeit seines Einsatzes. „Unausgegoren“, nennt Sinn [8] das politische Vorhaben.
„Der Wasserstoff ist die Kernfusion unter den klimaneutralen Technologien“, verkünden kritische Stimmen. Insbesondere der „grüne“ Wasserstoff, der ausschließlich mit erneuerbarer Energie hergestellt wird. Gemeint ist damit die lange Vorlaufzeit bis zur Realisierung wie bei der Kernfusion, die sich bei 50 Jahren plus bewegt, ohne Durchbruch bislang.
Ähnlich kritisch sieht es Prof. Andre Thess [2]: „Heute kann niemand belastbare Aussagen darüber treffen, wann, zu welchen Kosten und in welchem Umfang Wasserstoff zur Dekarbonisierung der Gesellschaft beitragen kann“.
Auch der Wissenschaftliche Dienst [3] sieht es ähnlich: „Einschätzungen zum künftigen Bedarf von Wasserstoff sind mit besonderen Unwägbarkeiten verbunden“. Er wertete Studien aus, in der die Bandbreite des Wasserstoffbedarfs in 2050 mit 169 bis 800 TWh im Jahr angegeben wurde. 100 TWh entsprechen ca. 3 Millionen Tonnen Wasserstoff.
In 2020 lag der Verbrauch bei (nur) rund 55 bis 60 TWh im Jahr [3]. Die Nationale Wasserstoffstrategie geht bis 2030 von einem Wasserstoffbedarf von 90 bis 110 TWh im Jahr aus.
Bisherige Einsatzgebiete
Quelle: Statista 2022
Die obige Grafik zeigt die derzeitigen Haupteinsatzgebiete für den Wasserstoff in Deutschland. Dieser Wasserstoff soll durch „grünen“ Wasserstoff ersetzt werden. Der Verzicht auf jede durch Verbrennung erzeugte CO2-Emmission erfordert zudem den Ersatz von Benzin, Diesel, Öl und Erdgas durch „grünen“ Wasserstoff. Eine komplexe und teure Mammutaufgabe mit pro und contra.
Energieinhalt
Für den Wasserstoff spricht zunächst seine hohe auf die Masse bezogene Energiedichte mit 33 kWh pro Kilogramm. Das ist fast dreimal so viel wie bei Benzin oder Diesel. ABER nicht pro Liter, dann ist die Energiedichte nur etwa ein Zehntel so groß wie die von Benzin oder Diesel.
Wasserstoffgas benötigt folglich viel Raum oder Volumen. Erst wenn das Gas extrem komprimiert oder auf minus 240 Grad Celsius gekühlt würde, wodurch es verflüssigt wird, wäre es halbwegs raumsparend. Aber was für ein Aufwand? In den Tanks von Bussen oder Lastwagen soll der Wasserstoff auf 700 bar komprimiert werden, beim PKW 250 bar.
Transport und Lagerung
Die Lagerung und der Transport von Wasserstoff mit 700 bar benötigt Materialien aus hochreißfesten kohlenstoffverstärkten Verbundwerkstoffen. Dazu müssen Ventile, Sicherheitseinrichtungen, Druckminderer, Sensoren und die Befüllarmaturen mitsamt den Rohrleitungen für diesen Druck ausgelegt werden.
Als „riesige Blendgranate“ bezeichnete in einem Interview mit dem Deutschlandfunk der Energieexperte Ulf Bossel PhD (UC Berkeley), Dipl. Masch.-Ing. (ETH Zürich) vom Europäischen Brennstoffzellenforum die Wasserstoffwirtschaft. Grund sei, bei seiner Herstellung verbrauche er viel Energie und bei seinem Transport ginge viel Energie verloren. Wasserstoff hat eine verheerende Energiebilanz. „Wasserstoff ist deshalb ein unbequemer Energieträger für die Gestaltung der Energiewende“ (Bossel [4]).
Die Bundesregierung kann “zuhause” nicht den notwendigen Grünen Wasserstoff herstellen und ist deswegen auf den Import aus anderen Ländern angewiesen. Wichtige Partner-Regionen sollen unter anderem Kanada[5], Namibia[6] und West-Afrika[7] werden. Somit stellt sich die Frage nach dem Transport über tausende von Kilometer und nach dem Energieverlust.
Wieviel Energie bleibt ab Erzeugung bis zum Einsatz des Wasserstoffs am Ende der Prozesskette übrig? Für eine spezielle Kette von der Wasserstofferzeugung bis zum Einsatz des Wasserstoffs im Auto gibt Bossel [4] die folgenden Energieverluste an:
- Bei der Erzeugung von Wasserstoff durch Elektrolyse rechnet Bossel im Mittel mit 43% Energieverlust, der Wirkungsgrad hierfür ist also 57%.
- Die Elektrolyse erzeugt Wasserstoff bei normalem Atmosphärendruck, er kann aber nur bei einigen hundert Atmosphären transportiert werden. Den Energieverlust für die Kompression auf 200 bar gibt Bossel mit 7% an, der Wirkungsgrad für diese Umwandlung beträgt also 93%.
- Unterstellt, der „grüne“ Strom würde wegen der günstigen Wind- und Sonnenbedingungen in Nordafrika erzeugt und dort würden die Elektrolyseure betrieben, dann müsste das Gas über 2000 km in die industriellen Zentren Mitteleuropas transportiert werden. Dies “kostet“ laut Bossel 15% der Energie des Wasserstoffes. Übrig bleiben also ca. 85%.
- Für den Straßentransport von den Endstellen der Pipelines zu den Tankstellen darf man wohl im Mittel 200 km Entfernung unterstellen, was laut Bossel weitere 13% der im Wasserstoff gespeicherten Energie kostet. Der Wirkungsgrad bei Straßentransport ist also 87%.
- Das Verfüllen in einen Tank mit noch höherem Druck kostet erneut Energie, Bossel geht von 4% aus. Verbleiben 86%.
Im Zwischenstand verbleibt von der ursprünglich eingesetzten elektrischen Energie 57% x 93% x 85% x 87% x 96%, also 38% im Tank.
Kann grüner Wasserstoff in den vorhandenen Gasleitungen transportiert werden?Bislang gibt es in Deutschland eine technische Norm, die eine Beimischung von Wasserstoff in das Erdgasnetz auf höchstens 10 Prozent beschränkt. Einzelne Testversuche haben bereits eine höhere Beimischung erprobt. Mit dem jetzt gestarteten Projekt überprüft Westnetz [9], ob die bestehende Infrastruktur sogar für reinen Wasserstoff genutzt werden kann, wobei die Stahlversprödung durch Wasserstoff eine erhebliche Rolle spielen wird.
Herstellung, Verwendung, Kosten
Ein weiteres ABER ist der Preis der Wasserstoff-Herstellung. Ein Kilogramm Wasserstoff durch Elektrolyse mit „grünem“ Strom herzustellen kostet gegenwärtig 6 Euro. Dagegen kostet – ohne Steuern – ein Kilogramm Sprit (vor der Inflation) 60 Cent in der Erzeugung. Sowohl pro Kilogramm als auch pro Kilowattstunde ist Wasserstoff wesentlich teurer als Benzin oder Diesel.
Am unsinnigsten wäre, mit grünem Strom Wasserstoff zu erzeugen, der – nach Transport –anschließend wieder zur Stromerzeugung genutzt würde. Laut Sinn [8] gingen dabei Dreiviertel der Energie verloren. „Vielmehr sollte der grüne Strom genutzt werden, um den Strom aus fossilen Kraftwerken zu verdrängen“. Primär sollte der grüne Strom dort genutzt werden, wo sein Einsatz sinnvoller ist als der Einsatz von Wasserstoff, um den Energieverlust bei der Wasserstoffproduktion zu vermeiden.
Es ist vielfach die Rede davon, „überschüssigen“ Strom aus Solar- und Windstromanlagen in Wasserstoff umzuwandeln. Da es ein Zuviel an Wind- und Solarstrom nur an wenigen Stunden des Jahres gibt, müssten die Elektrolyseure also für den Betrieb an diesen wenigen Stunden ausgelegt sein. Dies ist teuer und ineffizient. Ein absolut unwirtschaftlicher Prozess. Fakt ist: Deutschland verfügt nicht über genug Quellen, um seinen Strombedarf mithilfe von regenerativen Energien abdecken zu können.
Folglich bedarf es Solar- und Windenergie-Anlagen, die speziell für die Elektrolyseure den Strom bereitstellen. Zudem Stromspeicher für die Zeit mangelhafter Stromversorgung.
Oder aber die Nutzung von Strom aus der CO2-freie Stromerzeugung in Kernkraftwerken. Beim Import grünen Wasserstoffs wird Deutschland wohl keinen Einfluss haben, auf welche Weise „grüner“ Strom erzeugt wird. Dies wird das Lieferland des Wasserstoffes zu entscheiden haben.
Zeitbedarf
„Bislang werden die Elektrolyseure weitestgehend manuell hergestellt. Für die künftig erforderlichen Stückzahlen und Leistungen gilt es, die Systemzuverlässigkeit zu erhöhen und entsprechende Produktionstechnologien zu entwickeln – also die Herstellung solcher Anlagen zu automatisieren, sie in den industriellen Maßstab zu überführen und die Herstellungskosten zu senken“, heißt es bei Frauenhofer [10]. Elementar bei all den vielfältigen Entwicklungsaufgaben hin zu größeren Elektrolyseuren ist es, diese zu erproben – und zwar im industriellen Maßstab.
Bis eine effiziente und vor allem wettbewerbsgerechte Lösung für Herstellung, Transport und Anwendung von grünem Wasserstoff gefunden wird, ist es erkennbar noch ein langer Weg. Kurzfristig ist grüner Wasserstoff nicht in den benötigten Mengen verfügbar. Einen Ausweg aus der momentanen Energiekrise bietet er nicht.
[2] Bild der Wissenschaft Themenheft 2022
[3] Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages WD 5-3000-024/22, 02.03.2022
[4] https://www.sses.ch/de/wasserstoffwirtschaft-mit-falschen-versprechen-in-die-krise/
[6] https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/pressemitteilungen/de/2021/08/250821-Namibia-Wasserstoff.html
[8] https://youtu.be/78ntekFBE4o