Die von TransnetBW [1] im Januar 2024 veröffentliche Analyse „Systemstabilität – Heute und bis 2030“ der vier Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) zur aktuellen Belastbarkeit unseres Stromnetzes ist je nach Blickwinkel beruhigend oder höchst erschreckend.
Beruhigend, weil Maßnahmen aufgelistet werden, die eine sichere Stromversorgung garantieren sollen und „allen Kunden ein Netz so effizient wie möglich und allen Ansprüchen genügend zur Verfügung zu stellen.“
Erschreckend, weil ein Teil wichtiger Maßnahmen bei einer nur auf erneuerbarer Energie beruhenden Stromversorgung nicht umsetzbar ist und weil aktuell „Zustände gefunden wurden, in denen bereits ein Fehler für eine Systemunterbrechung ausreichen würde. Das heißt, wenn zum Beispiel ein Blitz einschlagen würde, dass so eine Leitung ausfällt, dann könnte das Stromnetz außer Gleichgewicht geraten.“ Was die Sorge eines Blackouts auslöst.
Die Analyse [1] beschreibt, worin die Herausforderung besteht:
Da sowohl die Erzeugung als auch der Verbrauch ständig schwanken, pendelt auch die Frequenz leicht um den Sollwert von 50 Hertz. Die Frequenz darf jedoch einen bestimmten Toleranzwert über oder unter 50 Hertz nicht über- bzw. unterschreiten. Um ein simples Beispiel zu nennen: Größere Abweichungen können dazu führen, dass Uhren, die direkt ans Stromnetz angeschlossen sind, vor- oder nachgehen.
Um die Frequenz stabil zu halten, wird Regelenergie (so genannte Momentanreserve) abgerufen. Auch hier sollen schnell hoch- oder herunterfahrbare Kraftwerke zum Einsatz kommen, die von der Hauptschaltleitung in Wendlingen am Neckar gesteuert werden. Stromerzeugung und Verbrauch müssen stets im Gleichgewicht gehalten werden. Mit zunehmender Volatilität durch erneuerbare Energien wird die schnelle Verfügbarkeit der Momentanreserve jedoch immer unsicherer.
In der Analyse werden Maßnahmen genannt, die darauf abzielen, die Systemstabilität zu gewährleisten und das Stromnetz auf die veränderten Anforderungen vorzubereiten. Ein zentraler Aspekt ist die Netzreserve, die die Erzeugungskapazitäten für die Sicherheit des Elektrizitätsversorgungssystems bereitstellt. Die Maßnahmen sind:
- Anpassung der Anforderungen an Erzeugungsanlagen und Großverbraucher, um netzdienliches Verhalten zu fördern.
- Schaffung von Anreizen für die Bereitstellung von Momentanreserve und Blindleistung.
- Erweiterung von geplanten Gas- und Pumpspeicherkraftwerken für den Phasenschieberbetrieb.
- Errichtung zusätzlicher Kompensationsanlagen für stationäre und regelbare Blindleistung.
- Erweiterung von Blindleistungsbetriebsmitteln um Kurzzeitspeicher bzw. zusätzliche Schwungmasse.
- Suche nach alternativen Lösungen zur temporären Blindleistungsbereitstellung.
- Nutzung von Potentialen aus dem Verteilnetz zur Unterstützung der Netzstabilität.
- Überwachung der Systemstabilität durch ein kontinuierliches Monitoring.
- Begrenzung der Wirkleistungsübertragung und gezielte Entlastung von Transitkorridoren nach Fehlerereignissen.
Unter Momentanreserven versteht man unter anderem die Schwungmassen der großen Synchrongeneratoren, die für die Frequenzerzeugung und Frequenzhaltung von zentraler Bedeutung sind. Durch sie wird permanent ohne Steuerungsengriffe mechanische in elektrische Energie und umgekehrt umgewandelt. Diese Reserven aber werden nun nach und nachreduziert und bisher nicht gleichzeitig ersetzt. Windenergie- und Solaranlagen besitzen diese Systemfunktion nicht.
Blindleistung ist jene permanent im Netz verbleibende Leistung, mit der die elektrischen und magnetischen Felder auf- und abgebaut werden, 50-mal in der Sekunde. Sie verrichtet keine nutzbare Arbeit, wird aber dringend benötigt, um die Spannung im Netz zu regulieren. Volatile Stromerzeuger wie Wind und Solar sind dazu nicht in der Lage.
Der bedarfsgerechte Ausbau der Pumpspeicherkraftwerke in Deutschland würde weder öffentliche Akzeptanz finden, noch ist er aus topografischen Gründen möglich.
Zwar plant die Bundesregierung den Bau von Gaskraftwerken, die bis zum Kohleausstieg in 2030 zur Verfügung stehen müssten. Weder gibt es Ausschreibungen noch haben sich Investoren gefunden. Da diese Gaskraftwerke nur in Zeiten ungenügenden Wind-und Solarstroms benötigt werden, sind sie a priori unwirtschaftlich und ohne Anreiz für Investoren. Dauerhaft staatliche Subventionen wären erforderlich. Überdies sind die Gasstromkosten die höchsten unter den Stromerzeugungs-Alternativen und bestimmen nach dem Merit-Order-Prinzip den Strompreis. Die Zeit drängt, wenn 2030 mit der Kohleverstromung Schluss sein soll. Anderenfalls kommt weiterhin Kohle zur Stromerzeugung zum Einsatz.
Zwischen den Zeilen der Analyse kommt die Skepsis zum Ausdruck, ob die Maßnahmen rechtzeitig zur Verfügung stehen. Was passiert, wenn tatsächlich bundesweit der Strom ausfällt? Die Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren hat vor neun Jahren ein Arbeitspapier [2] entwickelt, in dem der zeitliche Ablauf eines solchen Blackouts in sechs Phasen beschrieben wird:
- Die ersten zehn Minuten
Diese Phase ist noch relativ ruhig. Es gibt erste Meldungen und Nachfragen von Privatpersonen und Institutionen, die darauf hinweisen, dass es ein Problem gibt. Auch kommt es zu ersten Einschränkungen bei der öffentlichen Telekommunikation, weil das Mobilfunk- und Festnetz in Teilen ausfällt. Das bedeutet auch, dass die Kommunikation zwischen den Einrichtungen, die sich um die Gefahrenabwehr kümmern (Polizei, Feuerwehr etc.) gestört ist. Aus steckengebliebenen Fahrstühlen kommen erste Hilferufe.
2. Von zehn Minuten bis zu einer Stunde
Als Folge von Betriebsstörungen werden automatisch viele Brandmeldeanlagen ausgelöst. Der öffentliche Mobilfunk bricht zusammen, weil viele Menschen versuchen, Termine zu verschieben. Im öffentlichen Personennahverkehr kommt es bei Verkehrsmitteln mit Elektroantrieb zu Störungen. Auf den Straßen kommt es zum Chaos, weil Ampeln ausfallen – und weil sich noch mehr Menschen angesichts ausfallender U- und S-Bahnen ins Auto setzen.
3. Von einer bis zwei Stunden
Bei der Versorgung von Patienten im privaten Umfeld, die auf mit Strom angetriebene Hilfsgeräte wie Beatmungsmaschinen, Sauerstoff- oder Dialysegeräte angewiesen sind, kommt es zu Problemen und einer Häufung von Hilferufen. Je nachdem, wie warm oder kalt es ist, macht sich der Ausfall von Heizungen und Klimaanlagen bemerkbar.
4. Von zwei bis acht Stunden
Die Zahl der Hilferufe von unterversorgten Patienten nimmt weiter zu. Der digitale BOS-Funk, ein nicht öffentlicher UKW-Funkdienst, den Behörden mit Sicherheitsaufgaben in Österreich und Deutschland sowie die Bundeswehr verwenden, fällt aus, weil der Akku der Basisstationen leer ist. Die öffentliche Telekommunikation bricht zusammen, es kommt zu einem Totalausfall der Infrastruktur für Mobil- und Netztelefonie. Das heißt auch, dass Behörden diese Techniken nicht mehr für die Kommunikation untereinander zwecks Gefahrenabwehr nutzen können.
Der Ausfall der strombetriebenen Wasserversorgung wird spürbar. In der Massentierhaltung kommt es zu ersten Problemen, etwa bei strombetriebenen Melk- und Kühlungsanlagen.
5. Von acht bis 72 Stunden
Nun fallen Gefahrenmelde- und Brandmeldeanlagen aus. Zugleich kommt es zu ersten Bränden und Schäden, weil Menschen versuchen, den Stromausfall zu kompensieren, indem sie unsachgemäß Feuer machen. Weil an Tankstellen kein Benzin mehr gezapft werden kann, bleiben die ersten Autos liegen. In der Massentierhaltung gibt es langsam massive Probleme. Die lokalen Katastrophenschutzhelfer sind ohne Unterlass im Einsatz. Bei der Versorgung mit Trinkwasser und Lebensmitteln kommt es zu ersten Engpässen.
6. Über 72 Stunden
Die Versorgungsengpässe bei Gütern des täglichen Bedarfs nehmen massive Ausmaße an, auch bei Haushalten, die eine Notreserve angelegt haben. Der Katastrophenschutz hat keine Ressourcen mehr, er muss überregional Hilfe anfordern. Viele öffentliche Dienstleistungen sind nicht mehr verfügbar. Eine Destabilisierung gesellschaftlicher Strukturen ist die Folge.
Es soll mit diesem Hinweis auf das Arbeitspapier [2] keineswegs der „Teufel an die Wand gemalt“ werden. Es soll vielmehr ein Bewusstsein geschaffen werden, welche enorme sicherheitstechnische Bedeutung die Stromversorgung für unser Leben hat. Die Energiewende hat nämlich inzwischen einen Zustand erreicht, was sich aus der oben genannten ÜNB-Analyse herauslesen lässt, bei dem ein flächendeckender Stromausfall nicht mehr unmöglich erscheint.
[1] https://www.transnetbw.de/de/unternehmen/politik-und-regulierung/politik-newsletter