Strom kommt noch immer zuverlässig aus der Steckdose. Der Ausstieg aus der Kernenergie, die Abschaltung weiterer Kohlekraftwerke und der Verlust russischer Gasimporte haben trotz fehlender Energiespeicher, die es auch in Jahren in Deutschland nicht geben wird, bislang zu keiner Beeinträchtigung einer sicheren Stromversorgung geführt.
Die Befürworter der Energiewende sehen dies als Erfolg der zunehmenden Ausrichtung der Stromerzeugung auf Windenergie- und Solaranlagen an. Keine Frage, die Stromerzeugung dieser Anlagen überschreitet stundenweise deutlich die Hälfte des momentanen Strombedarfs.
Können wir demnach beruhigt und mit Zuversicht dem weiteren Ausbau der Windenergie- und Solaranalgen entgegensehen, auch wenn die Bundesregierung deren Stromanteil von mindestens 80 Prozent anpeilt? Den Rest sollen nach dem Kohleausstieg Gaskraftwerke beisteuern, die in erforderlicher Kapazität noch nicht existieren und wegen ihres (nur) Backup-Einsatzes für Investoren unwirtschaftlich wären.
Diese Zuversicht wäre trügerisch. Der Öffentlichkeit ist kaum bewusst, auf welche Unsicherheit in der Stromversorgung wir zulaufen. An dem folgenden Diagramm von Rolf Schuster soll dies verdeutlicht werden:
Das Diagramm zeigt beispielhaft für den Monat April 2024 die Stromerzeugung in Deutschland ohne den Leistungsbeitrag von Windenergie- und Solaranlagen. Dieser als Residuallast bezeichnete Leistungsbeitrag überwiegend durch Kohle- und Gaskraftwerke wird für den bedarfsgerechten Ausgleich unzureichender Stromerzeugung durch Windenergie- und Solaranlagen erforderlich. Dieser Leistungsbeitrag schwankt zwischen nahezu null und in der Spitze ca. 50 GW (linke Skala).
Die „Zackigkeit“ der erforderlichen Kraftwerksleistung hat zwei Ursachen. Zum einen wegen des stündlich schwankenden Strombedarfs. Ein wesentlicher Grund aber ist der stark fluktuierende Strombeitrag von Wind und Sonne. Aus Regelungssicht besonders kritisch sind die Stunden sehr hoher Strombeiträge von Wind und Sonne und zugleich ohne Residuallastbedarf, wie das zum Beispiel zwischen 2./3. April und zwischen dem 13. und 15. April der Fall war. In diesen Zeiten wurde die Regelung des Stromnetzes extrem schwierig, wurden geradezu die Grenzen der Regelbarkeit erreicht. Überlastung von Stromnetzen droht.
„Ist doch prima“, wird vielleicht der/die Eine oder Andere sagen, „noch ein paar weitere Windenergie- und Solaranlagen mehr, und wir können vollständig auf Fossilkraftwerke verzichten.“
Doch die Realität sieht anders aus. Schwankungen bis hin zu Flauten von Wind und ohne Sonne wird es immer geben. Sie treten besonders in den Wintermonaten auf, in denen der Energiebedarf besonders hoch ist. Um diese unvorhersehbaren Leistungsschwankungen im Stromnetz auszugleichen, bedarf es der Regelenergie, auch Regelleistung genannt, die von Fossilkraftwerken oder, wenn vorhanden, durch Kernkraftwerke bereitgestellt werden muss. Nur sie sind grundlastfähig und können rund um die Uhr Strom erzeugen.
In einem elektrischen Energieversorgungssystem müssen sich Erzeugung und Verbrauch elektrischer Energie immer die Waage halten, da sich Energie nur sehr geringfügig in einem elektrischen Energieversorgungssystem speichern lässt. Abweichungen zwischen Erzeugung und Entnahme müssen durch den Einsatz von Regelenergie ausgeglichen werden, damit es zu keiner Gefährdung der Systemstabilität kommt. Die Stromnetzfrequenz muss in engen Grenzen stabil bei 50 Hertz liegen.
Die Regelenergie wird von Übertragungsnetzbetreibern über eine Beschaffungsplattform ausgeschrieben und von qualifizierten Anbietern vorgehalten. Die Krux dabei ist, diese Regelenergie ist teuer. Warum? Die die Regelenergie bereitstellenden Fossilkraftwerke arbeiten in einem ständigen Lastwechselbetrieb, können also nicht betriebswirtschaftlich optimal betrieben werden und unterliegen wegen dauernden Leistungsschwankungen erhöhtem Verschleiß. Da der Regelstrombedarf oftmals sehr kurzfristig erfolgt, müssen diese Regelkraftwerke ständig bei geringer Leistung gefahren werden, aus dem sie im Anforderungsfall schnell auf höhere Leistungen gebracht werden können.
Aber nicht nur die plötzliche Stromnachfrage ist an der Tagesordnung. Auch kann es, wie in obiger Grafik gezeigt, zu einem Überangebot an Strom kommen. Das bedeutet Herunterregelung von Kraftwerken, Abschalten von Windenergieanlagen oder/und die Ableitung des Stroms zum Null-Wert in Nachbarländer, die sich die (dringliche) Stromabnahme zudem bezahlen lassen. Man spricht in diesem Fall von negativer Regelenergie.
Im Unterschied zur positiven Regelenergie bei nicht prognostizierter, erhöhter Stromnachfrage.
Diese negative Regelenergie kann zu einem riesigen Regelungsproblem führen, wenn die Kapazität der Windenergie- und Solarkraftwerke im Sinne der politischen Zielsetzung weiter ausgebaut wird. Stromüberschüsse werden deutlich zunehmen. Der unkalkulierbare Stromüberschuss hat, wie auch ein Stromdefizit in Zeiten der Dunkelflaute, erhebliche Konsequenzen für die Netzstabilität. Wegen der Unkalkulierbarkeit beträchtlicher Stromüberschüsse gerät die Regelungsmöglichkeit an ihre Grenzen.
Energiespeicher ausreichender Kapazität zur Aufnahme überschüssigen Stroms stehen in Deutschland nicht zur Verfügung und werden wegen fehlenden geografischen Potentials im Fall von Pumpspeicherkraftwerken und aus Kostengründen auch in Zukunft nicht zur Verfügung stehen.
Eine weitere Konsequenz des Ausbaues der Windenergie- und Solaranlagen sind die zunehmenden Strompreisschwankungen. Auf der rechten senkrechten Skala der obigen Grafik sind die Börsenwerte der Leipziger Strombörse EEX (European Energy Exchange) aufgetragen. An besonderen Stellen der Grafik sind in schwarz positive Börsenwerte und in rot negative Börsenwerte eingetragen. Die Börsenwerte des Stroms schwankten zwischen 191,19 EEX Wert Euro/MWh und dem negativen EEX Wert -60,05 Euro/MWh. Sie werden von Angebot und Nachfrage bestimmt. Das Angebot kann sich wiederum schnell ändern, wenn etwa ein größeres Kraftwerk ausfällt, der Wind ausbleibt oder umgekehrt, der Wind stärker weht. Bei hohen Börsenwerten war die Notwendigkeit eines teuren Stromimportes und beim negativen Börsenwert die notwendige Abgabe (Export) des Stromüberschusses maßgeblich für den jeweiligen Börsenwert.
Wie eine gesicherte Grundlastversorgung aussehen sollte, zeigt das nachstehende Diagramm
der Residuallast (hellbraun) – wiederum ohne Wind und Solar – im April 2024 in Frankreich. Die Residuallast wird im Wesentlichen von Kernkraftwerken bereitgestellt. Die rote Fläche gibt den Stromexport, die kleinen grünen Spitzen den Stromimport an. Die „Zackigkeit“ der Residuallast beruht (allein) auf dem wechselnden Strombedarf.