Dr. Jürgen Schulz
Claudia Kemfert, Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaft (DIW), bezeichnete Wasserstoff einmal als den ‚Champagner der Energiewende’ [1]. Viele Politiker, und besonders die Leitmedien, haben diesen Ausdruck wiederholt aufgegriffen, so dass er mittlerweile fest etabliert in den Köpfen der Gesellschaft verankert ist. Champagner ist jedoch teuer, und er wird nur zu besonderen Anlässen konsumiert, das weiß jeder. Die Medien haben es jedoch geschafft, die Idee in die Köpfe zu pflanzen, dass eine ‚Champagner-Wirtschaft‘ erstrebenswert, machbar und vor allem bezahlbar ist. Der Champagner-Vergleich gilt sicherlich, wenn man an die Nationale Wasserstoff Strategie (NWS) vom Ende her denkt [2a, b]. Die NWS wurde 2020 von der Bundesregierung verabschiedet. Sie bildet ein Kernelement der deutschen Energiewende. Der Wasserstoff wird dabei sowohl als Brennstoff als auch als Baustoff (Werkstoff) angesehen [2a, b]. Vornehmlich jedoch ist er als Brennstoff für die NWS von zentraler Bedeutung, denn bezogen auf die Masse, enthält eine Menge von 10% Wasserstoff dieselbe Energie wie 100% Erdgas [3].
Die Bundesregierung plant bis 2030 eine Kapazität zur Generierung von grünem Wasserstoff, mittels Elektrolyse von grünem Strom, von 10 GW* aufzubauen. Laut einer Analyse von PwC hat Deutschland bisher nur 0,1 GW installiert, und Projekte für nur weitere 0,55 GW finanziert; für die gesamte EU werden 120 GW an installierter Leistung bis 2030 geplant, es sind aber zur Zeit nur 3 GW finanziert oder im Bau [4a, b]. Dieser saubere Wasserstoff wird beschrieben als unverzichtbar für die Erreichung der globalen Klimaziele. Was genau ist Wasserstoff?
Historie
Wasserstoff wurde von Henry Cavendish bereits im Jahre 1766 entdeckt. Mittels einer chemischen Reaktion von Säuren mit Metallen erzeugte er ein farbloses, geruchloses und äußerst flüchtiges und brennbares Gas, welches er als ‚brennbare Luft‘ bezeichnete. Es war Antoine L. de Lavoisier, der Wasserstoff 1787 seinen heutigen Namen gab. Es existiert in di-atomarer Form als H2-Molekül und ist das erste Element des chemischen Periodensystems. ‚Im Anfang war der Wasserstoff‘ lautete das berühmte Buch von Hoimar von Ditfurth, und in der Tat entstehen durch Kernfusionsprozesse in unserer Sonne letztendlich alle übrigen Elemente des Periodensystems aus Wasserstoff. Über 90% aller Atome im Universum sind Wasserstoffatome. Es ist damit mit großem Abstand das häufigste Element im Universum.
Reaktionsfähigkeit von Wasserstoff
Wasserstoff verbindet sich fast immer mit Leichtigkeit (manchmal sogar explosionsartig) mit fast allen anderen Elementen des Periodensystems. Es darf wohl als das frivolste aller 92 Elemente bezeichnet werden. Daher kommt es auf der Erde nicht in elementarer Form vor. Wasserstoff hat eine relativ hohe Bindungsenergie von 436 kJ/mol, ist aber bei Raumtemperatur relativ reaktionsträge. Erst bei mehreren tausend 0C kann die Bindung zwischen den beiden Atomen des Wasserstoffmoleküls gespalten werden [5]. Bietet man Wasserstoff jedoch einen Reaktionspartner an wie zB Sauerstoff, so reicht bereits eine punktuelle Erhitzung zur Auslösung einer Reaktion, bei der gewaltige Energiemengen freigesetzt werden: z.B. mit Sauerstoff entsteht explosionsartig Wasser, H2O – die sogenannte Knallgasreaktion.
Die Mindestzündenergie von Wasserstoff liegt bei nur 0,016 mJ**; zum Vergleich, bei Methan liegt sie mit 0,28 mJ**, knapp 20 mal so hoch [6]. Ausserdem ist Wasserstoff in einem sehr breiten Konzentrationsfenster explosionsgefährdend: der Zündbereich in Luft liegt zwischen 4 – 77%, und ist damit weit höher als der aller anderen konventionellen Brennstoffe; zum Vergleich, bei Methan liegen die Werte zwischen 9,5 – 16,5% [5]. Wasserstoff ist also um ein Vielfaches entzündbarer als Methan bzw. Erdgas.
Die Währungen des Lebens
Wasserstoff kommt chemisch gebunden in praktisch allen organisch-chemischen Verbindungen vor. Wenn Kohlenstoff die Basis für das Leben ist, wie wir es kennen, dann muss Wasserstoff, als ständiger Begleiter des Kohlenstoffs, auch unbedingt als essentiell für das Leben bezeichnet werden. Das mit Abstand wichtigste kohlenstoffhaltige Molekül, das keinen Wasserstoff enthält aber trotzdem von lebenswichtiger Bedeutung für uns ist, ist CO2. CO2 ist die mobile und universelle Leitwährung des Kohlenstoffs (C), und damit des Lebens, vergleichbar mit der Rolle des US$ für die globale Wirtschaft. In dieser Analogie spielen Schwefel (S), Wasserstoff (H), Sauerstoff (O) und Stickstoff (N) – Merkformel ‚SCHON’ – die Rollen der bedeutendsten anderen Währungen wie Euro, Yen, Yuan und das britische Pfund in der globalen Wirtschaft. Ohne Wasserstoff und die anderen Elemente ist auch Kohlenstoff tote Materie. Kohlenstoff findet sich in der Natur auch in Reinform, als Grafit, Diamant oder die Fullerene, jedoch kommt Wasserstoff die zentrale Rolle zu ‚Kohlenstoff zum Leben zu erwecken‘. Dazu musste die Photosynthese erfunden werden, ein faszinierendes System von organischen Molekülen, die Lichtenergie in chemische Energie umwandeln, zunächst in Form von Kohlenhydraten, des Weiteren von Fetten und Proteinen. Sie enthalten alle chemisch gebundenen Wasserstoff.
Brennstoff oder Baustoff?
Als Baustoff für das Leben ist Wasserstoff also unersetzlich. Auch als Baustoff für unsere Industrie und unsere Wirtschaft ist er ebenso unersetzlich. Die Hydrierung, die Übertragung von Wasserstoff auf Moleküle, ist chemisch betrachtet eine Reduktion. Wasserstoff ist das wichtigste Reduktionsmittel in labortechnischer sowie großtechnischer Anwendung, und selbst in lebenden biologischen Zellen (in Form von NADH und NADPH).
Metalle stellen für Wasserstoff eine Art Schwamm dar, sie bilden dabei oft reaktive Zwischenstufen. Manche, z.B. mit Palladium (10%-Palladium/Kohlenstoff), sind schon an Luft bei Raumtemperatur leicht entzündlich. Die gängigsten Metalle, wie Nickel, Eisen, Ruthenium, Cobalt, Rhodium, Kupfer, Niob, Tantal, Zirkonium usw. ,ebenso die entsprechenden Oxide und viele ihrer Legierungen, reagieren mit Wasserstoff. Der Wasserstoff lagert sich dabei entweder in das Metallgitter ein, oder es bildet echte chemische Verbindungen mit ihnen, den sogenannten Metallhydriden. Beide Phänomene führen zu Wasserstoffversprödung und Wasserstoffkorrosion und letztendlich zur Zerstörung des ursprünglichen Materials.
Die Materialanforderungen im Handling von Wasserstoff sind daher enorm. Im Zuge der NWS jedoch ist Wasserstoff hauptsächlich als Brennstoff wichtig. Er soll so eine Art Mädchen für alles spielen. Er soll in Zukunft fossile Brennstoffe wie Methan bzw. Erdgas zur Erzeugung von Strom und Wärme ersetzen oder er soll mittels der Verwendung von Brennstoffzellen als Antrieb für Autos, LKWs usw. dienen [7]. Außerdem soll Wasserstoff als eine Art mobiler Speicher für im Überschuss produzierten Strom aus PV und Windkraftanlagen dienen.
Dabei ist Wasserstoff viel zu wertvoll und teuer, um verbrannt zu werden. Im deutschen Gasnetz liegt zur Zeit der Anteil von Wasserstoff als Beimischung zu Erdgas bei nur 2 Vol.%; bis Erhöhung auf 10 Vol.% kann man Wasserstoff im bestehenden Erdgasnetz transportieren [5]. Da jedoch das Gasnetz ein historisch gewachsenes komplexes Netzwerk aus Rohren und Leitungen verschiedenster Materialien ist, wird der komplette Umbau des deutschen Gasnetzes letztendlich erforderlich sein um reinen Wasserstoff oder höhere Erdgas Beimischungen als 10 Vol.% transportieren zu können. Außerdem ist eine herkömmliche Gasturbine nicht in der Lage, mit reinem Wasserstoff betrieben zu werden. Neben Wasserstoffversprödung bzw – Korrosion besitzt Wasserstoff auch eine höhere Flammgeschwindigkeit (346 m/s) als Methan (43 m/s) und eine höhere Verbrennungstemperatur. Ein Konsortium um Siemens Energy erzielte 2023 jedoch mit dem HYFLEXPOWER-Projekt einen technologischen Durchbruch mit der Entwicklung der ersten mit reinem Wasserstoff betriebenen Industriegasturbine [8a, b].
Klimaaspekte
Eine weitere wichtige Materialeigenschaft von Wasserstoff ist sein Diffusionsvermögen. Im Labor wird im einfachsten Hydrierungsexperiment ein Luftballon mit Wasserstoffgas gefüllt und an einen Reaktionskolben angeschlossen. Er verliert jedoch peu-a-peu seinen Inhalt. Wasserstoff entweicht selbst durch kleinste molekulare Schlupflöcher in die Atmosphäre. In großtechnischen Anlagen spielt diese Eigenschaft eine weniger große Rolle, da entsprechende Vorkehrungen viel leichter getroffen werden können als in millionenfach verzweigten Endpunkten wie es bei Haushalten oder Zapfsäulen der Fall wäre.
Zwar ist Wasserstoff, laut Pariser Klimaschutzabkommen, nicht als Treibhausgas klassifiziert, aber es reagiert nachgewiesenermaßen in der Atmosphäre mit Hydroxylradikalen. Hydroxylradikale sind wichtig zur Entfernung von Methan aus der Atmosphäre. Somit erhöht Wasserstoff also die Halbwertszeit von Methan, indem es Hydroxylradikale beseitigt. Außerdem greift dieser sekundäre Effekt via Hydroxylradikale in den Ozon- und Wasserdampfhaushalt der Atmosphäre ein. Der Effekt ist durch wissenschaftliche Studien belegt, jedoch nicht quantifizierbar [9a, b, c].
Erzeugung und Transport von Wasserstoff
Erdgas ist ein Primärenergieträger, den man direkt aus der Erde gewinnen kann. Wasserstoff dagegen ist ein Sekundärenergieträger, der erzeugt werden muss. Dazu stehen mehrere, historisch lange bekannte Verfahren zur Verfügung. Allgemein benutzt man chemische Speicherformen von Wasserstoff, wie Wasser oder Kohlenwasserstoffe, um ihn zu erzeugen.
Die älteste und die von der Bundesregierung durch das NWS bevorzugte Methode ist die Elektrolyse von Wasser [3]. Wird der dazu nötige Strom von sogenannten ‚erneuerbaren Energiequellen‘ produziert, wie zB. Windenergie, PV-Anlagen oder Biogas, so spricht man von grünem Wasserstoff. Ed Conway schreibt in seinem Buch ‚Material World’ dazu [10]: „Allerdings ist die Elektrolyse zur Herstellung von Wasserstoff ein so ineffizientes Verfahren, dass es einem die Tränen in die Augen treibt.“ Um es besser zu veranschaulichen fährt er fort und schreibt das, ‚um die britische Düngemittelfabrik in Billingham mit grünem Wasserstoff zu versorgen, müsste der größte Windpark in der Nordsee, Hornsea One (installierte Leistung 6 GW), komplett umgestellt werden.‘ Kürzlich wurden Energiepartnerschaften geschlossen, wobei den Staaten im Golf und Nordafrika besondere Bedeutung zukommt [11]. Hier soll mittels Elektrolyse Wasserstoff produziert werden. Der Strom stammt meist aus Kernkraftwerken, und in Zukunft soll er idealerweise aus riesigen PV-Anlagen in Wüstenstaaten kommen.
Hier muss angemerkt werden, dass gemäss des 1. Hauptsatzes der Thermodynamik Energie weder generiert noch erneuert werden kann. Energie kann immer nur von einer Energieform in eine andere umgewandelt werden. Leider hat sich die falsche Terminologie im allgemeinen Sprachgebrauch eingebürgert, mit verheerenden Folgen für das allgemeine Verständnis.
Aus diesen Gründen stellt nicht die Elektrolyse, sondern die Erdgas-Dampfre-formierung [3] den derzeit immer noch weltweit wichtigsten Prozessweg der Wasserstoffgewinnung dar:
• Methan wird mit Wasserdampf umgesetzt: CH4 + H2O ——> CO + 3 H2
• Methan wird mit Sauerstoff umgesetzt: 2 CH4 + O2 ——> 2 CO + 4 H2
• Wassergas-Shift-Reaktion: CO + H2O ——> CO2 + H2
Da hier jeweils CO2 freigesetzt wird, bezeichnet man diesen Wasserstoff als ‚grau’. Sind die Herstellungsprozesse gekoppelt mit CO2-Sequestrierung, so spricht man von ‚blauem‘ Wasserstoff.
Ist der Wasserstoff erst einmal produziert, ergibt sich das Problem seines Transports [12]. Die physikalisch-chemischen Eigenschaften bestimmen letztendlich Speicherung und Transport des erzeugten Wasserstoffs und sprechen gegen einen Direkttransport nach Europa. Der Siedepunkt von Wasserstoff liegt bei -252,8 0C; zum Vergleich, Methan ist eine Komponente von Erdgas und siedet bei -161,5 0C. Der Unterschied von fast 100 0C in den Siedepunkten bedeutet einen enormen zusätzlichen energetischen Aufwand um Wasserstoff zu verflüssigen im Vergleich zu Methan. Flüssiges Erdgas, LNG (Natural Liquified Gas), ist unser teuerster fossiler Brennstoff und treibt bei seiner Verstromung die Strompreise in die Höhe.
Außerdem ist LNG, gemäß einer Studie von Cornell University, schlechter in Punkto Treibhausgasemissionen als Steinkohle, wenn das LNG in den USA produziert, aber in Europa verbraucht wird [13]. Der volumetrische Heizwert von Wasserstoff beträgt 3 kWh/m3 und ist somit dreimal kleiner als der Heizwert von Erdgas, der zwischen 8,6 – 11,4 kWh/m3 liegt [3]. Das heißt, im Vergleich zu LNG braucht man etwa das dreifache Transportvolumen von flüssigem Wasserstoff, um denselben ‚Heizwert zu transportieren’. Daher beschreitet man den Umweg über den Haber-Bosch-Prozess: Wasserstoff und Stickstoff werden zu Ammoniak, einer chemischen Speicherform von Wasserstoff, umgesetzt. Ammoniak (NH3, Siedepunkt -33 0C) wird dann verflüssigt und ist wesentlich sicherer zu transportieren. Der Prozess ist jahrzehntelang optimiert, denn Ammoniak ist eine der 4 Säulen unserer modernen Zivilisation [14]. Will man den Wasserstoff jedoch aus Ammoniak zurückgewinnen, muss man den Haber-Bosch-Prozess umkehren, und zwar unter enormem energetischen Aufwand. Auch das geht. Ohne hier detaillierte energetische Betrachtungen der einzelnen Umwandlungsschritte zu bemühen, muss jedem völlig klar sein, dass das eine energetische, und damit ökonomische, Verlustrechnung ist. Außerdem kann man sich selber ausmalen, welche gigantische Materialschlacht dahinter steht, wollte man eine Energiewirtschaft auf der Verbrennung von Wasserstoff aufbauen, von den Kosten ganz zu schweigen.
Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik wird bei all diesen Prozessen der Umwandlung von einer Energieform in eine andere von Politik und Medien gerne ignoriert.
Einordnung in die deutsche Energiewende
Bei allen Medienberichten fällt immer wieder auf, dass ein Aspekt völlig außer Acht gelassen wird: Größenordnungen und deren Relationen zueinander. Nur selten wird das in Berichten diskutiert [15].
Laut Zahlen des Fraunhofer Instituts [16a] betrug die gesamte Stromerzeugung im Jahr 2023 in Deutschland 436 TWh. Das sind 14,6% des Gesamt-Energieverbrauchs von 10.735 PJ*** (entspricht 2.982 TWh) [16b]. Die Windkraft steuerte lediglich 139,6 TWh bei, also 32% der Stromversorgung, bzw. 4,6% zur Gesamtenergieversorgung. Am Jahresende 2023 betrug die installierte Leistung für Windkraft 69 GW (Onshore = 61 GW, Offshore, 8 GW). Die Windkraft ist damit der wichtigste Stromproduzent im
deutschen Strommix; PV-Anlagen steuerten im gleichen Zeitraum 53,5 TWh bei, 12,3% der Stromversorgung, 1,8% der Gesamtenergieversorgung. Es ist bemerkenswert festzustellen, dass es das Ziel der Bundesregierung ist, den Primärenergieverbrauch bis 2030 weiter zu senken. Von 2022 (11.769 PJ) auf 2023 (10.735 PJ) ist der Verbrauch bereits um ca. 9% gesunken. Dies ist zurückzuführen auf ein Abwandern unserer Industrie ins Ausland. Ist das politisch gewollt? Erst recht ernüchternd muss die Feststellung sein, welche unvorstellbare Materialschlacht dahinter steht. Sie bleibt gerne unerwähnt: ca. 30.000 Windkraftanlagen (WKA) sind für diesen kleinen Beitrag von 4,6% zur Energieversorgung im Jahre 2023 erforderlich. Weiterhin ernüchternd ist die Geschwindigkeit des Zubaus von Windkraft: 2023 betrug der Zubau nur 2,93 GW. Bei dem Tempo sind 23 Jahre erforderlich, um die bestehende Kapazität von 69 GW zu verdoppeln, also die Generierung von derzeit 139 TWh auf 278 TWh zu erhöhen.
Betrachtet man die historischen Daten, so wird deutlich, wie weit Realität und Planung auseinanderklaffen. Bei einer Lebensdauer einer Windkraftanlage (WKA) von ca. 20 Jahren, muss man also etwa um 2045 beginnen, WKAs zu ersetzen, die heute gebaut werden. Wenn Deutschlands Ziel bis 2030 ist, dass 80% des Strombedarfs von sogenannten ‚erneuerbaren Energiequellen‘ bereitgestellt werden soll, dann ist völlig klar, dass das derzeitige Tempo des Ausbaus um Größenordnungen nicht reicht.
Wie bereits oben erwähnt wurde, ist das Ziel der Bundesregierung bis 2030 Elektrolyse Kapazitäten von 10 GW zur Erzeugung von grünem Wasserstoff aufzubauen; 0,1 GW sind derzeit erreicht. Stellt man diese Zahlen Seite an Seite mit denen des Ausbaus von nur Windkraft, so erscheint auch das Ziel der NWS völlig illusorisch [4]. Die Entscheidung der Bundesregierung 2023 aus der Atomenergie auszusteigen, illustriert einen weiteren Aspekt der Verschwendungssucht, besonders der derzeitigen Regierung. Noch im Jahre 2021 hatte die Bundesrepublik grundlastfähige Kernkraftwerke mit einer installierten Leistung von 69 GW, 2022 waren es immerhin noch 35 GW [16b]. Das bedeutet, dass man noch vor 3 Jahren dieselbe installierte Leistung an Kernkraftanlagen hatte wie heute an Windkraftanlagen. Etwas zynisch könnte man sagen dass man einfach nur Elektrolyseure an bestehende Kernkraftwerke hätte anschließen brauchen, und man wäre dem heutigen Status Quo mehrere Jahrzehnte voraus.
Nachhaltigkeit
Wasserstoff ist als Baustoff für die moderne Zivilisation unersetzlich, er ist ein inhärenter Bestandteil vieler Prozesse. Daher lohnt sich der ganze Aufwand ihn herzustellen. Es darf jedoch bezweifelt werden, dass es in Anbetracht des oben beschriebenen Material- und Energieaufwands nachhaltig ist, Wasserstoff zu verbrennen. Man verbrennt ja auch keine Diamanten oder Graphit, obwohl sie zu 100% aus Kohlenstoff bestehen. Streng genommen ist auch die Verbrennung von Erdöl bedenklich, denn es ist die reichhaltigste Quelle für Rohstoffe, die unsere moderne Zivilisation benötigt. Kunststoff (Plastik) ist eine der 4 Säulen unserer modernen Zivilisation [14], und auch Arzneimittel usw. wären undenkbar ohne Erdöl.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der derzeit vorherrschende Zeitgeist unserer Gesellschaft uns zu einem gewaltigen Schritt in die falsche Richtung treibt. Die Fortschritte unserer westlichen Zivilisation beruhen auf der Nutzung von Brennstoffen mit immer höheren Energiedichten. Wir haben Wege gefunden, um den Energieerntefaktor immer weiter zu erhöhen [14]. Aus immer weniger Materie gewinnen wir immer mehr Energie: vom Holz zur Kohle zum Erdöl zum Erdgas zum Uran. Auf der Spitze dieses Weges zum Energiegipfel steht zweifellos das Uran, sieht man von der noch nicht industriell realisierten Kernfusion ab.
Statt diesen Weg heute zu verteufeln, sollte man sich vergewissern, welchen Raubbau der Mensch an seinen Wäldern angerichtet hat, bevor wir Kohle als Brennstoff entdeckten. Wir verbrannten unsere Wälder um Häuser zu bauen und es darin gemütlich warm zu haben, und wir nutzten die Energie von Holz für erste industrielle Prozesse zur Gewinnung von Glas, Stahl oder Beton; letztere repräsentieren die 3. und 4. Säule unserer modernen Zivilisation [14]. Auch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass zum Beispiel Wale bis zur nahen Ausrottung getrieben wurden, nur weil man aus deren Fett zB Öl für Laternen gewinnen wollte und natürlich vieles andere. Der Einsatz von Kohle und Erdöl hat unzählige Pflanzen und Tiere gerettet, und damit uns selbst [14, 17]. Natürlich haben wir dadurch neue Probleme geschaffen. Trotzdem muss konstatiert werden, dass der Raubbau an unseren Wäldern desaströse Zustände erreicht hat, bevor die Nutzung von fossilen Brennstoffen dieses Problem drastisch entschärfte [15]. Die Fokussierung auf Wasserstoff als Energieträger der Zukunft geht einher mit einer Materialschlacht, die an die Verschwendung von Rohstoffen früherer Jahrhunderte erinnert [14, 17].
Fazit
Kehren wir zurück zur Eingangsfrage, ob Wasserstoff Sekt oder Selters ist. Wasserstoff ist tatsächlich Sekt, sogar Champagner, aber er wird behandelt, als ob es Selters wäre. Man will ihn für fast alles einsetzen, was einem in den Sinn kommt, für Mobilität im Verkehr, fürs Heizen in Wohnhäusern, als chemischer Speicher für überschüssige elektrische Energie. Das alles ist heute technisch möglich, es ist jedoch unbezahlbar. Seine chemischen und physikalischen Eigenschaften schlichtweg determinieren ‚was geht‘. Darüber muss man sich im Klaren sein. Ironischerweise muss hier auch festgehalten werden, dass selbst die deutschen Wirtschaftsweisen unterschiedliche Auffassungen vertreten, welche Rolle Wasserstoff im Verkehr zukünftig spielen soll [18]. Es gibt keine Patentlösungen für welches Problem auch immer. Die beste Lösung besteht immer aus einem Abwägen der Stärken und Schwächen der Einzelfaktoren. Sekt hat seinen Platz, Selters aber auch.
* GW = Gigawatt (1 TWh = 1000 GW)
** mJ = Millijoule (1 mJ = 0,001 J)
*** PJ = Petajoule (1 TWh = 3,6 PJ)
Quellenverzeichnis:
[1] https://www.telepolis.de/features/Deutsche-Wasserstoffstrategie-Champagner-fuer-die Energiewende-9231605.html
[2a] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Wasserstoff/Downloads/fortschrittsbericht-nws. pdf?__blob=publicationFile&v=1
[2b] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Dossier/wasserstoff.html
[3] https://www.asue.de/sites/default/files/asue/themen/bio-erdgas/2020/broschueren/ ASUE_Energietraeger-Wasserstoff_2020-02_Online.pdf
[4a] https://www.pwc.de/de/energiewirtschaft/wasserstoff-ein-essentieller-baustein-der-energiewende. html [4b] https://www.strategyand.pwc.com/de/de/presse/sauberer-wasserstoff.html
[5] https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/6647/file/6647_Wasserstoff Studie.pdf
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Mindestzündenergie
[7] https://www.change.org/p/fördern-sie-die-herstellung-und-finanzierung-von-wasserstoffautos/ psf/promote_or_share
[8a] https://h2-news.de/forschung/hyflexpower-konsortium-betreibt-gasturbine-mit-100- wasserstoff/
[8b] https://www.siemens.com/de/de/produkte/gebaeudetechnik/hlk/oem/burner-solutions. html
[9a] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/ attachment_data/file/1067144/atmospheric-implications-of-increased-hydrogen-use.pdf
[9b] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/dokumente/ uba_ist_wasserstoff_treibhausgasneutral.pdf [9c] https://www.euractiv.de/section/all/news/habecks-wasserstoffimporte-sind-wohl-klimasuender/
[10] Ed Conway: Material World – Wie sechs Rohstoffe die Geschichte der Menscheit prägen
[11] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Artikel/Energie/internationale-energiepolitik-2.html
[12] https://demaco-cryogenics.com/de/blog/wasserstofftransport-drei-bekannte-energietraegerim-vergleich/
[13] https://www.research.howarthlab.org/publications/ Howarth_LNG_assessment_preprint_archived_2023-1103.pdf
[14] Vaclav Smil: How the world really works
[15] http://ageu-die-realisten.com/archives/6980
[16a] https://www.ise.fraunhofer.de/de/presse-und-medien/presseinformationen/2024/ oeffentliche-stromerzeugung-2023-erneuerbare-energien-decken-erstmals-grossteil-des-stromverbrauchs. html
[16b] https://www.ise.fraunhofer.de/content/dam/ise/de/documents/presseinformationen/ 2023/Stromerzeugung_2022.pdf
[17] Andrea Wulf: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur
[18] https://www.welt.de/wirtschaft/plus251515