Von Michael Guillen
(Originaltitel: Has Science Lost Its Way?)
Es gab viele leidenschaftliche politische Reden am sogenannten Marsch für die Wissenschaft am Sonnabend. (Anm.: 22. April 2017 in Washington und weiteren Städten; Thema: Klimapolitik der Trump-Regierung). Bedauerlicherweise hörte ich nichts von den tatsächlich ernsten Problemen, die die Wissenschaft heutzutage plagen.
Die einzige und zugleich größte Bedrohung für die Wissenschaft kommt heute aus ihren eigenen Reihen. Im vergangenen Jahr veröffentlichte Nature, das renommierte internationale Wissenschafts-Journal eine Studie, die enthüllte: „Mehr als 70% der Forscher haben die Experimente anderer Wissenschaftler wiederholt und konnten deren Resultate nicht reproduzieren. Und über die Hälfte konnten nicht einmal ihre eigenen Ergebnisse reproduzieren.“
Das Reproduzieren von Experimenten ist für die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft das Gleiche wie die Bestätigung finanzieller Aussagen für die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens. Die geradezu astronomisch hohe Fehlerquote bei den Versuchen, Forschungsergebnisse zu bestätigen, die in hoch respektierten, von Gutachtern unterstützten („peer-reviewed“) Fachzeitschriften veröffentlicht worden sind, legt es nahe, das etwas sehr falsch daran ist, wie Wissenschaft praktiziert wird. Zweiundfünfzig Prozent von den 1.576 der für diese Studie überprüften Forscher bezeichneten das als „eine bedeutende Krise.“
Diese Krise scheint durch eine deutliche Abneigung unter den Wissenschaftlern verschlimmert zu werden, diese Seuche zu offen benennen und sich gegenseitig zu nicht reproduzierbaren Experimenten zu kontaktieren. „Das mag daran liegen, dass solche Unterhaltungen schwierig sind,“ spekuliert Nature. „Wenn Experimentierer bei den originalen Forschern um Hilfe ersuchen, riskieren sie, als inkompetent oder anklagend zu erscheinen – oder zu viel über ihre eigenen Projekte zu offenbaren.“
Die Krise plagt sogar die am meisten in der Wissenschaft verehrten „Tatsachen“, wie die Krebsforscher C. G. Begley und Lee Ellis entdeckten. Über eine volle Dekade stellten sie 53 veröffentlichte „Meilenstein“-Studien auf den Prüfstand. Sie konnten nur sechs davon erfolgreich reproduzieren – das ist eine 11-prozentige Erfolgsrate.
Die hauptsächliche Schuld daran – so ihre Feststellung – liegt daran, dass viele Forscher gezielt nur einzelne Ergebnisse aus ihren Experimenten auswählen („cherry-picking“) – unbewusst oder mit Absicht – um ihnen den Anschein eines Erfolgs zu geben und damit ihre Chancen auf eine Veröffentlichung zu erhöhen.
„Sie präsentierten spezifische Experimente, die ihre zugrundeliegenden Hypothesen, die aber nicht die Daten des gesamten Datensatzes widerspiegeln,“ berichten Begley und Ellis, und sie fügen eine schockierende Wahrheit an: „Es gibt keine Richtlinien, die die Veröffentlichung aller Datensätze in einer Publikation verlangen; oft werden sogar Originaldaten im Begutachtungs- und Veröffentlichungsprozess entfernt.“
Eine weitere scheinbare Schuld ist – und das dürfte die meisten von ihnen verwundern – dass zu viele Wissenschaftler niemals über die wissenschaftliche Methodik unterrichtet worden sind. Als graduierte Studenten belegen sie Unmengen von Kursen auf ihren gewählten Spezialgebieten; aber ihre Dissertationsberater lassen sie sich niemals hinsetzen und sich über die besten Verfahren (best practices) indoktrinieren. Konsequenterweise, bemerkt die Biologin Judith Kimble von der Universität Wisconsin-Madison: „Sie gehen fort und machen es noch schlimmer.“
Diese Beobachtung folgt aus der Nature-Studie, deren Kritisierte drei Haupt-Schwächen hinter der Reproduzierbarkeits-Krise der Wissenschaft nannten:
1.) Selektive Berichterstattung
2.) Druck zur Veröffentlichung
3.) Geringe eigene statistischen Fähigkeiten oder schlechte Analysefähigkeit.
Mit anderen Worten: Die Wissenschaftler müssen trainieren, ihre Qualität in Bezug auf das, was sie predigen, zu verbessern.
Das bedeutet:
1.) Respekt vor den Fakten – alle davon – und nicht nur diejenigen, die man mag
2.) Integrität
3.) und eine solide wissenschaftliche Methodik.
Niemand nimmt an, dass die Wissenschaft voll von böswilligen Betrügern oder Inkompetenten ist – und ich gewiss nicht. Als ein Wissenschaftler – der durchschnittlich fünf Stunden täglich Schlaf hatte, während er PhD-Studien in Physik, Mathematik und Astronomie in Cornell betrieb – kenne ich zur Genüge den Druck, der meine rechtschaffenen, gutgesinnten Kollegen dazu bringen kann, heiklen Fehlern in Praxis und Beurteilung zu erliegen.
Die Teilnehmer des sogenannten Marschs für die Wissenschaft machten viel Lärm für mehr Geld und mehr Respekt von der Öffentlichkeit und der Regierung – welche Gruppe wünscht sich das nicht ? Aber nicht einmal ein Wispern war von ihnen oder den Medien über die dringende Reproduzierbarkeits-Krise der Wissenschaft zu hören. Falls diese Elefanten-große Frage unbeantwortet bleibt:
Wenn wir den publizierten Ergebnissen der Wissenschaft nicht mehr trauen können, mit welchem Recht wird mehr Geld und Respekt gefordert, bevor merkliche Schritte in Richtung auf eine bessere Reproduzierbarkeit ihrer Ergebnisse getan sind ?
Übersetzung: Günter Keil
Michael Guillen, Dr. der Physik; ehemaliger Wissenschafts-Redakteur für ABC News, lehrte Physik in Harvard.
Quelle: http://www.foxnews.com/opinion/2017/04/27/has-science-lost-its-way.html
Copyright Michael Guillen, PhD, 2017