Deutschland’s Energiepolitik mit massiven wirtschaftlichen Folgen

Zwischen den Antworten der Bundesregierung vom 23.4.2019 [1] und vom 23.11.2020 [2] zur Versorgungssicherheit nach Kraftwerksstilllegungen mit geplanten Kohleausstieg und der von Henrik Paulitz im Telepolis-Interview vertretenen Auffassung der massiven Versorgungsgefährdung liegen Welten. Man fragt sich unwillkürlich, ist die Bundesregierung blind, realitätsfremd oder ideologieverbohrt, denn die Auffassung von Paulitz ist nachvollziehbar?

Auf die besorgte und gut begründete parlamentarische Frage nach der Strom-Versorgungssicherheit antwortet die Bundesregierung unter anderem:

„Alle wichtigen Aspekte des Netzbetriebs werden überwacht und so sich möglicherweise abzeichnenden Schwierigkeiten frühzeitig und adäquat begegnet. Außerdem prüfen die Übertragungsnetzbetreiber und die Bundesnetzagentur vor jeder geplanten Stilllegung eines Kraftwerkes, ob es systemrelevant ist und ggf. in die Netzreserve überführt werden muss [1]. [….] Das BMWi steht in einem permanenten Austausch mit der Bundesnetzagentur und den deutschen Übertragungsnetzbetreibern. Ebenso gibt es einen regelmäßigen Austausch mit der Deutschen Energieagentur und dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Die Bundesregierung hat von den genannten Stellen keine Warnungen hinsichtlich einer Gefährdung der Versorgungssicherheit erhalten [1].“

Nahezu gleichlautend ist ihre Antwort eineinhalb Jahre später:                                                       „Die Sicherheit der Stromversorgung wird in verschiedenen Untersuchungen und ineinandergreifenden Arbeitsprozessen der Netzbetreiber, der Bundesnetzagentur (BNetzA) und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) untersucht. Dabei ist stets zu berücksichtigen, dass Deutschland in das europäische Stromsystem eingebunden ist, auf das viele sehr unterschiedliche Faktoren einwirken. Das BMWi und die BNetzA überwachen daher fortlaufend auf mehreren Ebenen die Sicherheit der Stromversorgung. Das Monitoring wird zudem kontinuierlich weiterentwickelt, um neue Herausforderungen frühzeitig zu erkennen….. Alle aktuellen Analysen der Übertragungsnetzbetreiber auf europäischer Ebene und Untersuchungen im Auftrag des BMWi kommen zu dem Ergebnis, dass die sichere Stromversorgung in Deutschland absehbar auf dem heutigen hohen Niveau gewährleistet bleibt [2].

Nunmehr schreckt das BMWi aber mit einer Meldung auf, dass es einen Entwurf für ein “Steuerbare-Verbrauchseinrichtungen-Gesetz“ vorbereitet hat, mit dem die Grundarchitektur für eine Strom-Mangelverwaltung mit ständigen Stromabschaltungen gelegt werden soll. Nach Protesten musste der Gesetzentwurf vorläufig zurückgezogen werden: Es war öffentlich kaum zu vermitteln, dass die Bürger Elektroautos kaufen sollen, denen dann aber per Gesetz jederzeit der Strom abgeschaltet werden kann.

Aber wenn doch die „Stromversorgung auf dem heutigen Niveau gewährleistet ist“, wie die Bundesregierung argumentiert, wozu dann dieses Gesetz? Offenbar ist es um die Versorgungsgarantie doch nicht gut bestellt.

Wie sicher die Stromversorgung in Deutschland ist, war wiederholt unser Thema. Erst vor kurzem konnte ein größerer Stromausfall in Europa gerade noch verhindert werden.

Dass die Stromversorgung massiv gefährdet ist, erläutert Henrik Paulitz, Leiter der „Akademie Bergstraße für Ressourcen-, Demokratie- und Friedensforschung“ im Interview mit Marcus Klöckner von Telepolis [3]. Der Friedens- und Konfliktforscher befasst sich seit Jahrzehnten auch mit der Energiepolitik.

Paulitz zeigt sich überzeugt, dass es sich in Deutschland zu einem Zusammenbruch des Stromnetzes kommen kann. „Wenn die aktuellen energiepolitischen Beschlusslagen zum Abschmelzen von Kraftwerkskapazitäten umgesetzt werden, wird es in Deutschland schon in Kürze keine zuverlässige Stromversorgung mehr geben. Die Bevölkerung ist sich weithin völlig im Unklaren darüber, dass nicht nur “ungeplante Blackouts” drohen, bei denen es laut eines Berichtes von 2011 des “Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag” zu zahllosen Todesopfern kommen kann.“

In diesem Bericht wird eindrucksvoll dargelegt, dass bei längerem nationalem Stromausfall der Kollaps der gesamten Gesellschaft fast nicht zu verhindern ist. Wir berichteten darüber.

Strukturell sehr viel zerstörerischer dürften laut Paulitz “geplante Brownouts” wirken, wenn also die Netzbetreiber Industriebetrieben und Privathaushalten regelmäßig den Strom abschalten müssen, weil die Solar- und Windenergieanlagen nachts und bei Windflaute nur wenig Strom erzeugen. Einen Gesetzentwurf für eine solche Strom-Mangelverwaltung hat, wie oben ausgeführt, das Bundeswirtschaftsministerium unlängst vorgelegt, dann aber wegen erheblicher Einsprüche vorerst wieder zurückgezogen.

Deutschland braucht heute mehr als 80 Gigawatt absolut zuverlässige Stromerzeugungsinstallation. Die verfügbare Leistung von Wind- und Solaranlagen sei häufig weniger als 10 Gigawatt, gelegentlich sogar nur rund 1 Gigawatt. Selbst bei einer angenommenen Verdreifachung der Wind- und Solarkapazitäten bliebe das Problem bestehen. Einem Bedarf von 80 Gigawatt stünden auch dann zeitweise weniger als 5 Gigawatt gesicherte Wind- und Solarleistung gegenüber. Aber der Strombedarf werde durch Millionen Elektroautos und den Ersatz von Ölheizungen durch Wärmepumpen noch zunehmen.

„Dadurch könnte der Leistungsbedarf in den kommenden zehn Jahren auf 120 Gigawatt ansteigen. Zusammen mit Wasser- und Biomassekraftwerken kämen die erneuerbaren Energien insgesamt aber nur auf eine Größenordnung von 17 Gigawatt gesicherte Leistung.“

 Sonne und Wind benötigen daher einen absolut zuverlässigen konventionellen Backup-Kraftwerkspark. Der aber geht mit dem Kernenergie- und Kohleausstieg in den nächsten Monaten und Jahren verloren. Paulitz sieht die Stromversorgung massiv gefährdet. „Die seit Jahrzehnten versprochenen Langzeitstromspeicher gibt es nicht, unter anderem wegen den großen Wirkungsgradverlusten, also aus technisch-ökonomischen Gründen. Kurzzeitspeicher wie Batterien sind unterm Strich zur Lösung des Problems nicht geeignet.“

Laut Empfehlung der Kohlekommission sollen Gaskraftwerke den Strombedarf ausgleichen. Nach Angaben der Deutschen Energie-Agentur bräuchte man allerdings bei einem Kernenergie- und Kohleausstieg bis 2030 rund 75 Gigawatt Gaskraftwerkskapazität, was weit mehr als 100 Gaskraftwerksblöcken entspricht.

Paulitz ist nicht allein mit seiner Ansicht einer massiv gefährdeten Stromversorgung. „Zahlreiche mit der Thematik befasste Institutionen und Fachleute, beispielsweise auch die der Leopoldina, weisen unmissverständlich darauf hin, dass Deutschland wegen der nicht verfügbaren Langzeitspeicher auch weiterhin ein absolut zuverlässiges, konventionelles Backup-Kraftwerkssystem wie im heutigen Umfang benötigt. Selbst der Bundesverband der Solarwirtschaft teilte unlängst mit, dass schon in den kommenden rund zwei Jahren eine Stromlücke von bis zu 30 Gigawatt Leistung droht, was rein rechnerisch der Leistung von mehr als 20 großen Kernkraftwerken oder rund 40 Kohlekraftwerksblöcken entspricht.

2022 gäbe es bereits eine “aufreißende Stromlücke”. Schon 2023 werde der europäische Stromverbund die Stromlücke nicht mehr schließen können. Die Laufzeitverlängerung von Kohlekraftwerken werde dann unausweichlich, heißt es in einer Pressemitteilung des Bundesverbands Solarwirtschaft. Wir werden es also vermutlich schon innerhalb der nächsten drei Jahre deutlich zu spüren bekommen, wie sich eine Strom-Mangel-Wirtschaft anfühlt, in der nicht mehr genügend Strom erzeugt bzw. importiert werden kann.“

Paulitz sieht volkswirtschaftliche Schäden für Deutschland. „Insgesamt zeigt sich, dass viele der längst eingeleiteten Maßnahmen dieses Land massiv verändern und den Wohlstand wohl substanziell verringern würden. Und zwar schon morgen. Letztlich steht das ökonomische Überleben Deutschlands und Europas auf dem Spiel.

Nach Einschätzung des Verbands der Familienunternehmer ist die Versorgungssicherheit, also die zuverlässige Versorgung mit Strom und anderer Energie, vermutlich der letzte große Vorteil des europäischen und deutschen Wirtschaftsstandortes gegenüber den globalen Wettbewerbern.

Das bedeutet: Wenn in Deutschland und Teilen Europas in den kommenden Jahren die Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleistet ist, dann wird das massive wirtschaftliche Folgen für Deutschland und für Europa haben.“

Mit der Mobilität, der Raumwärmeversorgung und vielen Stromanwendungen stünde auf sehr umfassende Weise die Befriedigung von Grundbedürfnissen in Frage. Eine solche Ökonomie des Verzichts wäre auf demokratische Weise auf Dauer nicht durchsetzbar, weil die Menschen das nicht wollen, sobald sie spüren, was das in der Realität bedeutet.

Das heißt: Es müsste zu repressiven, totalitären staatlichen Strukturen kommen, die mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar sind. Die Deutsche Bank Research spricht bereits von Öko-Diktatur. Nicht zuletzt wäre auch die innere und äußere Sicherheit massiv gefährdet. Eine solche Entwicklung kann sich eigentlich niemand wünschen.“

Die Quintessenz, die in vielen Artikeln auf dieser Webseite gezogen wurde, ist immer wieder die Gleiche:

Die Konzeption der Energiewende, wie sie in den vergangenen zwanzig Jahren propagiert wurde, ist ohne Stromspeicher nicht realisierbar und überdies extrem teuer.  Die Stromspeicher aber werden auf absehbare Zeit technisch wie auch ökonomisch vertretbar nicht zur Verfügung stehen. Die Energiepolitik bedarf dringend der Korrektur, und zwar sehr kurzfristig, weil sich zeigt, dass ein Verlust des konventionellen Kraftwerksparks nicht zu verantworten wäre.

[1] Antwort der Bundesregierung, Drucksache 19/9656 vom 23.04.2019

[2] Antwort der Bundesregierung, Drucksache 19/24779 vom 23.11.2020

[3] https://www.heise.de/tp/features/Die-Stromversorgung-ist-massiv-gefaehrdet-5030116.html