„Erdgaskraftwerke können eine wichtige Rolle beim Ausgleich von Stromschwankungen aus erneuerbaren Energiequellen spielen, die je nach Wetterlage und Jahreszeit erheblichen Produktionsschwankungen unterliegen“ [1]. Diese triviale Erkenntnis hat inzwischen auch Eingang in dem Ampel-Koalitionsvertrag gefunden. Jedenfalls halbwegs, vollkommen wird sie erst, wenn „können“ durch „müssen“ ersetzt wird. Mit dem Ausstieg aus der CO2-freien Kernenergie und in wenigen Jahre auch der Kohle steht nämlich auf absehbare Zeit keine grundlastfähige und einsatzfähige Alternative zum Erdgas zur Verfügung.
Ohne Not hat sich Deutschland aus einer sehr komfortablen Stromversorgung mit 17 Kernkraftwerken und enormen Braunkohle-Lagerstätten in eine Sackgasse manövriert, mit dem Ziel ein energetisch reines Wind- und Sonnenparadies zu schaffen. Gas höchstens als „Übergangstechnologie“.
Überall sonst auf der Welt weiß man, dass sich ein Industrieland wie Deutschland per Sonne und Wind allein nicht mit Energie versorgen lässt. Dazu Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel am 17.4.2014 vor Herstellern von Solarkomponenten SMA in Kassel:
„Die Wahrheit ist, dass die Energiewende kurz vor dem Scheitern steht. Die Wahrheit ist, dass wir auf allen Feldern die Komplexität der Energiewende unterschätzt haben. Für die meisten anderen Länder in Europa sind wir sowieso Bekloppte.“
Wenn man nur eine wesentliche Energiequelle – demnächst nur Gas – zur Verfügung hat, schafft man sich, wie sich bereits aktuell zeigt, eine gnadenlose Abhängigkeit in politischer wie wirtschaftlicher Hinsicht.
Erdgas ist nach Mineralöl der zweitwichtigste Primärenergieträger im deutschen Energiemix [1]. In 2020 betrug der deutsche Gasbedarf 86,5 Mrd. Kubikmeter. BDEW gibt für 2020 den Gasverbrauch mit 965,2 Terawattstunden (TWh) an.
Rund 55 Prozent des Gasbedarfs wird durch Importe aus Russland gedeckt!
Die größten europäischen Gasmärkte sind Deutschland, das Vereinigte Königreich und Italien. Deutschland wird auch zukünftig in hohem Maße von Erdgasimporten abhängig sein. „Dabei kann derzeit noch nicht seriös berücksichtigt werden“, und diese Aussage des BMWi ist sehr bemerkenswert, „ob und inwieweit eine zukünftige Förderung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten (Tight Gas, Schiefergas [Shale Gas], Kohlegas [Flözgas, Grubengas], Aquifergas und Gashydrat) diesen Anteil wieder senken könnte“ [1]. Bemerkenswert insofern, weil diese Gasförderung die die Anwendung des bislang in Deutschland verbotenen Fracking-Verfahrens voraussetzt.
Welche Erdgas-Importe werden künftig erforderlich?
Nach (vorläufigen) Angaben von Statista 2022 setzen sich die Energieanteile in 2021 zur Bruttostromerzeugung wie folgt zusammen:
- Braunkohle 108 TWh/a
- Steinkohle 54 TWh/a
- Kernenergie 69 TWh/a
- Erdgas 89 TWh/a
In Summe belaufen sich die Anteile von Braunkohle, Steinkohle und Kernenergie auf 231 TWh. Dieser Betrag ist künftig durch Erdgas zu ersetzen, also fast das Dreifache des bisherigen Gaseinsatzes zur Stromerzeugung.
Die Planungen der Bundesregierung, große Teile des Straßenverkehrs und der Stahlherstellung zu elektrifizieren sowie die elektrolytische Herstellung von Wasserstoff, werden den Strom- und damit den Gasbedarf überdies stark steigen lassen.
Nach Schätzungen von Experten benötigt Deutschland in naher Zukunft allein 50 bis 60 Neue Gaskraftwerke, um die Stromversorgung sicherzustellen. Nach Angaben der Bundesregierung [2] sind aktuell 4 Gaskraftwerke mit zusammen 3858 MW in Bau oder in Planung. Im Jahr 2021 seien seitens befragter Unternehmen geplante Projekte mit insgesamt 4380 MW gemeldet worden. Also noch in der Schwebe. Das war’s.
Und woher soll das Gas für diese Kraftwerke kommen, wenn aktuell bereits Sorge um eine verlässliche Gasversorgung besteht? Diese Frage ist gegenwärtig absolut ungeklärt.
Die nominale Transportkapazität des Nord Stream 1 aus Russland beträgt 55 Mrd. Kubikmeter pro Jahr. Dies entspricht einer Leistung von 550 TWh/a. Nord Stream 2 mit gleicher Kapazität liegt politisch auf Eis und kann folglich nicht in Betracht gezogen werden.
Die beiden neben Russland wichtigsten Gasimportländer Norwegen mit 30,6 Prozent und die Niederlande mit 12,7 Prozent haben bereits signalisiert, ihre Exporte nach Deutschland nicht zu erhöhen
Verteilung der Erdgasbezugsquellen Deutschlands im Jahr 2020
Der Gaslieferant Uniper erklärte, im Falle einer begrenzten und kurzfristigen Drosselung der Gasflüsse aus Russland werde die Firma voraussichtlich in der Lage sein, den Ausfall etwa dank Gasspeichern weitgehend zu kompensieren. «Erhebliche Unterbrechungen der Gasflüsse würden dagegen die Stabilität des deutschen Gassystems gefährden.» Uniper ist Deutschlands größter Importeur von russischem Erdgas.
Das Institut der deutschen Wirtschaft kommt in einer Analyse zum Schluss, ein gänzlicher Ausfall russischer Gasimporte werde zu Engpässen führen. Wie lange Deutschland mit Hilfe der gut ausgebauten Gasinfrastruktur in diesem Fall vor Versorgungslücken geschützt sei, hänge von den verfügbaren Importen von Flüssigerdgas (LNG), Speicherständen und der Entwicklung der Außentemperaturen ab.
Deutschland verfügt zwar über ein beträchtliches Gaspotential in Form von Schiefergas, das mit Hilfe des Fracking-Verfahrens gefördert werden könnte. Die Anwendung dieses Verfahrens aber ist in Deutschland aus Gründen des Umweltschutzes gesetzlich verboten. Fachfirmen halten die Gründe für nicht stichhaltig. Kurzfristig käme die Förderung nicht infrage, mittelfristig darf sie angesichts der gravierenden deutschen Abhängigkeit von Gasimporten nicht mehr außeracht gelassen werden. Die oben zitierte Aussage aus dem BMWK lässt eine Neubewertung des Frackings erhoffen.
Doch welches Unternehmen geht den wirtschaftlich risikoreichen Bau und Betrieb von Gaskraftwerken ein, die nicht ausgelastet werden dürfen, solange Wind und Solar Vorrang haben und zudem nur für einen befristeten Übergang betrieben werden dürfen? Denn gleich zu Beginn ihrer Antwort [2] machtet die Bundesregierung unmissverständlich und leider auch uneinsichtig (Handel mit ungefangenen Fischen) deutlich:
„Angesichts der ambitionierten Klimaziele gilt es, den Ausstieg aus der Nutzung sämtlicher fossiler Energieträger voranzutreiben. Aus diesem Grund ist aus Sicht der Bundesregierung auch die Nutzung von Erdgas langfristig nicht nachhaltig. Jedoch aus Sicht der Bundesregierung der Brennstoff fossiles Gas in hochmodernen und effizienten Gaskraftwerken für einen begrenzten Übergangszeitraum – bis zur Umstellung auf einen auf erneuerbaren Energien basierenden Energiesektor – noch notwendig. Entscheidend für die Einstufung als Übergangstechnologie ist, dass die Gaskraftwerke die schnelle Umstellung auf erneuerbare Energien und die Reduktion der Emissionen im Energiesektor insgesamt unterstützen, die erneuerbaren Energien ergänzen und nicht verdrängen und ihren Betrieb rechtzeitig auf Wasserstoff umstellen. Neue Gaskraftwerke, die wasserstofffähig („H2-ready“) sind und damit vollumfänglich mit Wasserstoff betrieben werden können, können dann kurzfristig auf CO2-freie nachhaltige Energieerzeugung auf Basis von grünem Wasserstoff umgestellt werden.“
Aktuell verfügbare Alternative zum Gas, wenn uns der Gashahn in Russland abgestellt wird: Natürlich KOHLE! Denn auch Flüssiggasanlieferungen, werden die Versorgungslücke nicht schließen können.
[1] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Energie/gas-erdgasversorgung-in-deutschland.html
[2] Deutscher Bundestag Drucksache 20/924, „Gaskraftwerke in Deutschland – Status quo und geplanter Zubau“, 09.03.2022