Am 15. April 2023 sollen die letzten drei Kernkraftwerke endgültig abgeschaltet werden. Im Jahr 2011 war unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) der Ausstieg beschlossen worden.
Dazu sind zwei politische Grundhaltungen in Erinnerung zu rufen:
Auf dem Katholikentag am 23. Mai 2008, also nur drei Jahre vor dem Ausstiegsbeschluss, betonte Angela Merkel in ihrer Rede [1] die Bedeutung der Kernenergie:
„Ich halte es nicht für sinnvoll, dass ausgerechnet das Land mit den sichersten Atomkraftwerken die friedliche Nutzung der Atomenergie einstellt. Deutschland macht sich lächerlich, wenn es sich dadurch ein gutes Gewissen machen will, dass Atom- und Kohlekraftwerke stillgelegt würden und gleichzeitig Strom, der aus denselben Energieträgern erzeugt worden ist, aus Nachbarländern importiert wird.“
Nicht erst in der Regierungsverantwortung nach 1969, sondern schon viel früher tat die SPD sich als glühende Vorkämpferin des atomaren Fortschritts hervor. Der Adenauer-Regierung warf sie sogar vor, das Atomzeitalter zu verschlafen. Auf den SPD-Bundesparteitag 1956 bekräftigte Carlo Schmid [2]:
„Nun steht die Arbeiterbewegung vor neuen Aufgaben, denn sie steht am Beginn der zweiten industriellen Revolution. Die Entbindung der atomaren Energie gestattet die Auslösung unvergleichlich größerer Energiemengen, als es je die Verbrennung von Kohle und Öl und die Ausnützung der Wasserkräfte vermocht hat und vermögen wird. Darum muss auch in den Kohle- und Ölländern atomare Energie erzeugt werden, selbst wenn diese heute noch teurer zu stehen kommen sollte…“
In der anschließenden Debatte, an der sich bekräftigend und ergänzend auch Willy Brandt, Herbert Wehner und Helmut Schmidt beteiligten, hätte es kein einziges Wort der Kritik an diesen Ausführungen gegeben.
In der aktuellen Energiekrise wird die Bedeutung der Kernenergie für die CO2-freie Stromerzeugung besonders deutlich. Sie liefert versorgungssicher die Grundlast rund um die Uhr, sorgt für den Ausgleich fehlenden Stroms aus Windenergie- und Solaranlagen und stellt überdies Strom zu wettbewerbsfähigen Kosten bereit. Zugleich wird ein qualvoller Engpass beim Ausbau des Stromnetzes umschifft, den Strom der Windparks vom Norden in den Süden zu bringen. Von den erforderlichen 12.000 Kilometer Leitungen wurden erst etwa 2.000 Kilometer fertiggestellt.
Längst werden bereits wieder Stimmen laut, die eine sichere, bezahlbare und klimafreundliche Stromversorgung ohne Kernenergie für illusorisch halten, in der Bevölkerung, in einigen Medien, besonders in der Industrie.
So bejahte als Beispiel der Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf im WamS-Interview vom 14.08.2022 die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke:
„15 Prozent unseres Gases wird zur Stromerzeugung genutzt, das macht überhaupt keinen Sinn. Wenn wir die Atomkraft nutzen, um Strom zu produzieren, können wir Gas einsparen. Darüber hinaus brauchen wir neue, kompakte Kernkraftwerke, weil der Strombedarf in Zukunft steigen wird. Wenn wir alle elektrisch fahren wollen, haben wir einen massiven zusätzlichen Strombedarf, der nicht nur aus generativen Energien gedeckt werden kann. Die EU hat Kernkraft als grüne Energie eingestuft, und wir sollten uns nicht wieder abhängig machen von anderen Staaten, indem wir den Atomstrom teuer aus Frankreich oder anderen Ländern einkaufen.“
„Wollen wir unsere Volkswirtschaft nicht an die Wand fahren“, sagte Klaus Olbricht, DIHK-Vizepräsident im Interview mit TE 09/2022, „brauchen wir jetzt eine sichere und bezahlbare Energieversorgung. Ist die nicht gewährleistet, wird Deutschland als Industrienation schon bald keine Rolle mehr spielen. Wenn unsere Produkte nicht mehr konkurrenzfähig sind, werden andere Anbieter schneller, als wir uns jetzt noch vorstellen können, in die Bresche springen.“
Für den Industriellen Nikolas Stihl ist „bei der Art und Weise, wie bei der Energiewende vorgegangen wird, Dilettantismus schon ein relativ schwaches Wort“, war in der FAZ vom 28.12.2022 zu lesen. „Die Atomkraftwerke hätten jetzt selbstverständlich weiterlaufen müssen. Statt die Forschung einzustellen, hätte man weiterforschen müssen und hätte heute Kraftwerke, die weniger strahlenden Abfall produzieren und noch sicherer seien.“
Henrik Paulitz, Leiter der Akademie Bergstraße für Ressourcen-, Demokratie- und Friedensforschung, antwortete Jemanden, der sich wegen der unfachmännischen Energiepolitik, die der Industrie, insbesondere dem Mittelstand schweren Schaden zufügt, an ihn gewandt hatte:
„Es ist angesichts von Inflation, Energie- und Wirtschaftskrise kein Kavaliersdelikt mehr, wenn Teile von Wissenschaft, Politik und Medien unablässig und wahrheitswidrig behaupten, ein auf Wind- und Solaranlagen basierendes Energiesystem sei billig und könne – bei fehlenden Speichern – Kohle, Gas, Kernenergie und Erdöl ersetzen. Kein ernstzunehmender Befürworter einer Energiewende hätte vor Jahren und Jahrzehnten derart billige Lügen verbreitet, wie sie jetzt alltäglich sind. Einzelne Komponenten sind günstig, das Gesamtsystem ist aber unbezahlbar teuer. Es gilt jetzt, umgehend zu einer rationalen Energiepolitik zurückzukehren, um Stromabschaltungen und „rollierende Blackouts“ zu verhindern.“
In Deutschland und teilweise in ganz Europa findet eine schleichende Deindustrialisierung statt. Die Ursachen sind vielfältig, können inzwischen aber nicht mehr einfach nur als “normaler Strukturwandel” abgetan werden. Energiemangel durch eine falsche Energiepolitik mit ungerechtfertigt hohem Vertrauen in die wetterabhängigen Umgebungsenergien Wind und Sonne bei fehlenden Groß-Speichern sowie stark steigende Energiepreise inklusive CO2-Bepreisung sind wesentliche Ursachen.
Die grüne Energiepolitik beruht vor allem auf Hoffnungen und Wünschen. Sie erinnert an eine Geisterfahrt, meint das Ex-Mitglied der Reaktorsicherheits-Kommission Ulrich Waas[4]:
„Nicht nur eine deutliche Mehrheit bei Umfragen spricht sich in der jetzigen Situation für einen Weiterbetrieb der noch nutzbaren KKWs in Deutschland aus“, schreibt Waas in seinem Artikel, „sondern auch Sachverständige wie etwa die „Wirtschaftsweisen“, das Ifo-Institut und das Kieler Institut für Weltwirtschaft sowie Unternehmer, die auf dem Weltmarkt konkurrieren müssen und von den hohen Strompreisen in Deutschland betroffen sind. Und selbst Greta Thunberg empfiehlt für Deutschland einen begrenzten Weiterbetrieb, um vermehrte Kohlenutzung zu vermeiden.
Ebenso haben weltweit alle Länder, die Kernkraftwerke betreiben und sich in der Vergangenheit entschieden hatten, aus der Kernenergie auszusteigen, inzwischen beschlossen, den Ausstieg mindestens zehn Jahre zu verschieben – nur Deutschland nicht. Einige der ehemaligen Aussteiger, wie zu Beispiel Schweden, Finnland, Niederlande, Japan, verfolgen sogar Pläne, neue Kernkraftwerke zu bauen. Ebenso einzelne Länder wie Polen, die bisher keine KKWs hatten.“
„Ohne die wichtigsten, bisher mehr oder weniger verdrängten Probleme und Risiken zur Kenntnis zu nehmen und verstehen zu wollen, werden wir immer wieder in Energiekrisen hineinstolpern, mit erheblichen Folgen für Energiekosten und damit für den Industriestandort Deutschland.“
Als ein wesentliches Problem, warum die Energiewende nicht funktionieren kann, sieht Waas die fehlende Energiespeicherung elektrischer Energie: „Um die Mittagszeit im Sommer müssen mit wachsendem Ausbau immer mehr Wind- und Sonnen-Anlagen abgeschaltet werden, da die Erzeugung den Bedarf übersteigt. Gleiches gilt für Windenergie-Anlagen bei windigen Wetterlagen. Das heißt: Gerade dann, wenn Stromerzeugung aus Wind und Sonne besonders günstig wäre, müsste abgeschaltet werden. In den vergangenen Jahren wurden im Schnitt bereits entsprechend 6000 Gigawattstunden abgeregelt – und dies wird ohne ausreichende Speicherung weiterhin zunehmen. Das beeinträchtigt die Wirtschaftlichkeit dieser Anlagen natürlich erheblich. Und in ungünstigen Zeiten, bei „Dunkelflauten“, hilft eine Verdopplung oder Verdreifachung auch nicht viel, da zwei- oder dreimal „wenig“ immer noch nicht viel ist.“
„Die gegenwärtig in Deutschland vorhandene Speicherkapazität für elektrische Energie umfasst nämlich nur etwa 40 Gigawattstunden, hauptsächlich in Pumpspeicherwerken, in Batterien weniger als eine Gigawattstunde. Benötigt würden gegenwärtig etwa 400 Gigawattstunden, um wenigstens im Sommer eine Nacht zu überbrücken, und bis zu 10.000 Gigawattstunden, um zehn Tage Dunkelflaute im Winter auszugleichen. Dabei wird der Speicherbedarf noch deutlich wachsen, da wegen der stark geförderten Einführung zum Beispiel von E-Autos, Wärmepumpen oder zusätzlichen elektrischen Verfahren in der Industrie der Strombedarf erheblich ansteigen wird.“
Damit ist absehbar, dass noch für etliche Jahre der beschleunigte Zubau von Windenergie- und Solaranlagen (W+S) immer weniger zusätzlichen Nutzen für die Energieversorgung bringen wird, da zunehmend Abschaltungen notwendig werden. Und damit ist auch absehbar, dass noch für etliche Jahre in Zeiträumen mit Minderleistung von W+S andere Kraftwerke einspringen müssen, nach den gegebenen Randbedingungen (Verfügbarkeit, Kosten) ganz überwiegend Kohlekraftwerke, zum Teil reaktivierte ältere Kraftwerke. Und damit ist wiederum absehbar, dass die CO2-Emissionen in Deutschland hochgehalten werden und erst mal noch ansteigen, sodass die Emissionen je erzeugter Kilowattstunde zu den höchsten in Europa zählen werden. „W+S massiv auszubauen, ohne rechtzeitig für ausreichende Speicherkapazität zu sorgen, ist, wie ein „Pferd von hinten aufzuzäumen.“
Grundsatz sollte sein, Abschaltungen bestehender Anlagen erst, wenn grüne Anlagen tatsächlich als voll funktionsfähige, replizierbare und wirtschaftlich tragfähige Alternativen bestehen.
Die Ampelkoalition folgt vielmehr weiterhin der These, dass man nicht nur eine Industrie wie Deutschland mit Energiedichten des Mittelalters in die Zukunft führen kann, sondern dass hier ein europäisches Vorbild für die Welt entstehe, ignoriert aber, dass ihr keine Nation folgt. Eine ideologiefreie Prüfung bleibt aus. Eine an der Realität orientierte Energiepolitik wäre aber dringend geboten. Zwar wurde eine ideologiefreie Prüfung einer Laufzeitverlängerung der letzten Kernkraftwerke vom Bundeswirtschaftsminister versprochen, genau dies aber wurde dann systematisch verhindert [5] [6].
Kehren wir zu den Zitaten zu Beginn dieses Artikels zurück: Die friedliche Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung wurde darin als notwendig erkannt. Dies umso mehr, wenn über kurz oder lang auf den Einsatz fossiler Energien zur Stromerzeugung verzichtet werden soll, um die CO2-Emissionen drastisch zu senken und ohne Kernenergienutzung ein Strommangel bestehen würde. Stromspeicher stehen, wie oben gesagt, nicht zur Verfügung wie auch die Alternative „Wasserstoff“, die überdies extrem teuer wäre. Ohne Kernenergie haben wir keine wirtschaftlich tragfähige Alternative.
Der Ausstieg auch aus der Kernenergie hätte Stromversorgungsrisiken und erheblich steigende Stromkosten zur Folge. Unternehmenspleiten, Industrieflucht in kostengünstigere Staaten und Wohlfahrtsverluste für die Bürger wären die Folgen, die sich in der gegenwärtigen Energiekrise bereits abzeichnen.
Mit dem Verbot einer sicheren, wettbewerbs- und umweltgerechten Technik wie der Kernenergie, die sogar von der EU befürwortet wird, greift der Staat in den Markt ein und verursacht, bezogen auf die neoklassische Theorie, suboptimale Ergebnisse. Mehr noch: Mit dem gesetzlich festgeschriebenen Kernenergieausstieg wird jegliche nukleare staatlich geförderte Forschung unterbunden. Deutschland wird den Anschluss an aussichtsreiche Entwicklungen bei fortgeschrittenen Reaktortypen verpassen. Traurig vor allem für unsere Nachkommenschaft.
Die verfassungsgemäß begründete Fürsorgepflicht jedes demokratischen und sozialen Rechtsstaates hingegen gebietet es zu verhindern, dass weder Menschen im Staat geschädigt werden noch der Staat als Institution. Das kann aber nur funktionieren, wenn die ermächtigten und verpflichteten Staatsorgane ständig alles tun, um die „Gefahrenermittlung” zu gewährleisten. Mit dem Kernenergie-Verbot geschieht das Gegenteil: Wirtschaft, Industrie und die Bürger werden durch die einseitige Ausrichtung der Stromversorgung auf Wind und Sonne geschädigt.
[2] SPD Bundesparteitag in München vom 10. bis 14. Juli 1956, Tagesordnungspunkt 2 „Industrielle Revolution“
[3] Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.12.2022
[5] https://www.welt.de/wirtschaft/plus241848771/Der-Mythos-vom-unbefangenen-AKW-Entscheid.html
[6] Welt am Sonntag, Daniel Wetzel „Im Kern dagegen…“, 30.11.2022