Auch wenn Deutschland aus der Kernenergie ausgestiegen ist, die nukleare Forschung entwickelt sich weltweit weiter. Die Zukunft gehört Reaktoren, die inhärent sicher sind und möglichst auch keine langlebigen radioaktiven Abfälle erzeugen. Dies sind Reaktoren der 4. Generation und Modulreaktoren bis 300 MW. Wir berichteten hier und hier darüber.
Den nachfolgenden Bericht entnahmen wir dem Schweizer Nuklearforum-Bulletin 2-2023:
Im Juni 2021 hat die Europäische Kommission den ersten Workshop zur Förderung kleiner, modularer Reaktoren (Small Modular Reactors – SMRs) organisiert, die auf den europäischen Markt zugeschnitten sind.
Aus dem ersten Workshop zu SMRs ist unter der Schirmherrschaft der Europäischen Kommission eine Förderinitiative entstanden, an der sich die Nuklearindustrie, Aufsichtsbehörden und Forschungsinstitutionen gemeinsam beteiligen. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer «Partnership». Grundlegendes Ziel ist das Identifizieren von Risiken und Hindernissen bei der Entwicklung einer eigenen SMR-Auslegung, das aussereuropäische Modelle längerfristig zu konkurrenzieren vermag. Man will also die Kräfte und Kompetenzen im Nuklearbereich bündeln. Konkret will man mit der European SMR-Partnership folgendes erreichen:
- Eine eigene Lieferkette für SMR-Technologie in Europa aufbauen
- Ein einheitliches Lizenzierungsverfahren schaffen
- Eine strategische Forschungs- und Entwicklungsagenda erarbeiten
- Niederschwellige Finanzierungsmodelle sowohl mit privatem als auch mit öffentlichem Kapital entwickeln
Von einem einheitlichen Lizenzierungsverfahren etwa verspricht man sich Kostensenkungen. Auch sollen sich Synergien im Bereich der Forschungskoordination kostensenkend und beschleunigend auswirken. Obwohl so nie ausdrücklich kommuniziert, werden die amerikanischen Initiativen, auf die im Folgenden auch noch eingegangen wird, die Kommission ein Stück weit zum Handeln gezwungen haben. Mehrere osteuropäische EU-Mitgliedsstaaten nahmen nämlich bereits aktiv an diesen amerikanischen Förderprojekten teil. Folglich wollte die Kommission mit ihrer Initiative wahrscheinlich auch verhindern, dass sich neue Abhängigkeiten etwa bei Lieferketten entwickeln.
Nucleareurope (der Europäische Dachverband der Nuklearindustrie) ist sehr stark in diese Stakeholder-Initiative eingebunden. So wurden verbandsintern bereits zahlreiche Arbeitsgruppen (workstreams) gegründet, die sich eng an den oben dargelegten Einzelzielen orientieren und Vorschläge erarbeiten, die der Kommission übermittelt werden sollen. Das Nuklearforum bringt sich hier über die Geschäftsstelle und den Vorstand aktiv in die Arbeiten ein. Konkret werden Vorschläge für mögliche Finanzierungsmodelle von SMR Technologien erarbeitet.
Die Europäische Gemeinschaft sieht in ihren Vertragswerken zahlreiche Möglichkeiten vor, wie die Entwicklung von Technologien gerade in Kooperation vorangetrieben werden können. Eine Möglichkeit wäre die Bildung einer sogenannten Industrieallianz (European Industrial Alliance), wie es sie beispielsweise schon im Bereich der Photovoltaik oder der Batterieentwicklung gibt. Solche Industrieallianzen erhalten keine Fördergelder der EU, können aber etwa Regulierungsvorschläge erarbeiten oder Finanzierungsinitiativen für Projekte von strategischer Wichtigkeit starten. Die Bildung einer Industrial Alliance im Bereich SMR würde die Koordination aller interessierten Mitgliedsstaaten in Europa mittelfristig sehr vereinfachen. Solche Industrieallianzen stehen auch Drittstaaten wie der Schweiz offen.
Die Schweiz hätte die Möglichkeit, die ausgezeichnete Forschungsinfrastruktur des Paul Scherrer Instituts (PSI) einzubringen und im Gegenzug von der Technologieentwicklung im Bereich SMR bevorzugt zu profitieren. Alternativ stehen auch Fördergefässe des Euratom-Vertragswerkes oder des Rahmenprogramms der EU für Forschung und Innovation (Horizon Europe) zur Diskussion. [….]
Nächstes Ziel der Partnership ist die Publikation einer Roadmap zu obig aufgeführten Punkten. Diese darf ab Sommer 2023 erwartet werden. Im Anschluss obliegt es der Europäischen Kommission, die European SMR-Partnership in eine der oben beschriebenen Richtung voranzutreiben. Es gilt an dieser Stelle auch zu erwähnen, dass die Europäische Kommission gewisse Einzelziele der European SMR-Partnership bereits laufend vorwegnimmt. So unterzeichnete die Schweizer Forschungskommissarin Mariya Gabriel bereits im April 2023 zusammen mit Industrieverbänden eine Erklärung zur Unterstützung von Forschung, Innovation, Bildung und Ausbildung für die Sicherheit europäischer SMR.
Um etwas besser zu verstehen, wieso die Europäischen Institutionen in diesem Bereich so aktiv werden, wird im Folgenden noch auf die Förderinitiativen aus USA und Kanada eingegangen. Sie sind bereits wesentlich weiter fortgeschritten als die Förderinitiative in Europa und zeigen daher gut auf, wohin die Reise bei der Förderung der SMR-Technologie in Europa gehen könnte.
Amerikanische Initiativen
Das amerikanische Department of Energy (DOE) hat zahlreiche Initiativen zur Förderung heimischer SMRTechnologien lanciert. So gibt es beispielsweise das Advanced Reactor Demonstration Program (ARDP) oder das Gateway for Accelerated Innovation in Nuclear Gain Program. Das ARDP ist auf Partnerschaften mit der Industrie ausgelegt (sogenannte Public-Private-Partnerships) und vergibt Gelder an Demonstrationsobjekte, die entweder in sieben Jahren voll einsetzbar sind oder dann an Konzepte, die das Potential haben, bis Mitte der 2030er-Jahre einsatzfähig zu sein. Gain legt den Schwerpunkt auf einen kostengünstigen Zugang zur stetig ausgebauten Forschungsinfrastruktur. Ergänzend wurde im April 2021 das First-Programm (Foundational Infrastructure for responsible Use of Small Modular Reactor Technology) ins Leben gerufen. Dieses Programm ist explizit auf internationale Zusammenarbeit ausgerichtet. Länder, die zur Reduktion von Treibhausemissionen zukünftig auf kleine, modulare Reaktoren setzen wollen, werden in Technologie- und Ausbildungsfragen grosszügig unterstützt. Dadurch soll der SMR-Technologie weltweit zum Durchbruch verholfen und der amerikanischen Wirtschaft Exportchancen ermöglicht werden. Bereits wurden Partnerschaften etwa mit Estland, Ghana, Indonesien und Rumänien geschlossen.
Kanada: Enabling Modular Reactors Program
Ende Februar 2023 stellte Natural Resources Canada zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Schaffung nachhaltiger Arbeitsplätze ein neues Förderprogramm für SMR-Technologie vor. Für die nächsten vier Jahre werden CAN 29,6 Mio. (rund CHF 20 Mio.) bereitgestellt. Ziel ist es, Lieferketten für die SMR-Herstellung und zur Brennstoffversorgung zu etablieren sowie Forschungsprojekte zur sicheren Entsorgung von radioaktiven Abfällen aus SMR zu finanzieren. Die zugesprochenen Fördergelder müssen nicht zurückbezahlt werden, das Programm übernimmt jedoch nur maximal 75% der gesamten Projektkosten. Der übrige Teil muss anderweitig – etwa durch Partnerschaften mit der Industrie – organisiert werden. Bereits im Jahr 2018 hatte Natural Resources Canada eine Stakeholder-Initiative ins Leben gerufen, im Rahmen derer interessierte Provinzen, Energieversorgungsunternehmen, Regulierungsbehörden und weitere interessierte Kreise gemeinsam in einem Roadmap-Bericht das Potenzial der SMR in Kanada darlegten. Darauf basierend lancierte die kanadische Regierung im Dezember 2020 mit zahlreichen Partnern ihren SMR-Aktionsplan, um die Roadmap in die Realität umzusetzen.