Der frühere Bundestagsabgeordnete Friedbert Pflüger*) (CDU) steht der deutschen Klima- und Energiepolitik kritisch gegenüber. In seinem in der Weltwoche [1] erschienenen Beitrag bestätigte sich aus meinen früheren Gesprächen mit ihm mein Eindruck, in denen er sich sachbezogen und kompetent zu Energie- und Umweltthemen äußerte. Hier sein Beitrag:
“Klimapolitik stürzt auf der Rangliste der von den Bürgern als wichtig erachteten Themen ab. Das ist keine gute Nachricht. Selbst wer vom Dauer-Hype um die Erderwärmung genervt ist und die radikalen Protestformen von Aktivisten ablehnt, muss zugeben, dass die überwältigende Mehrheit der seriösen Forscher den Klimawandel als ernste Realität betrachtet. Erfreulich, dass angesichts des Ukraine-Krieges andere Zukunftsthemen wie Frieden und Sicherheit in den Vordergrund rücken oder innere Sicherheit und Migration endlich auch in Deutschland Gehör finden. Aber es wäre fatal, wenn das Klima dauerhaft auf dem back seat bliebe. Um das zu verhindern, bedarf es allerdings einer Kurskorrektur der bisherigen Klimapolitik in der EU, in Deutschland und der Schweiz: weniger Ideologie und Reglementierung, mehr Freiheit und Technikoffenheit.
Die Bilanz ist nicht dazu angetan, den besserwisserischen Moralismus zu rechtfertigen.
Bereits als junger Bundestagsabgeordneter beschäftigten mich die Themen Umwelt und Klima. 1992 veröffentlichte ich das Buch «Ein Planet wird gerettet – Eine Chance für Mensch, Natur, Technik». Drei Jahrzehnte später habe ich die gleiche Botschaft. Wir müssen sorgsam mit unserer Erde, unserer Umwelt und unserem Klima umgehen. Aber der gute Wille und auch noch so flammenden Bekenntnisse alleine reichen nicht. Es kommt darauf an, Klimaschutz nicht nur zu predigen, sondern auch konkret umzusetzen – und zwar zu akzeptablen Kosten und ohne die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft zu schädigen. Wir sind nicht weit gekommen: In der Welt, der EU und in Deutschland sind wir trotz aller teuren Maßnahmen im Energiemix immer noch zu zirka 80 Prozent fossil (in der Schweiz sieht das aufgrund der Anteile von Atom- und Wasserkraft deutlich anders aus).
Was muss sich ändern?
1 _ Die kontraproduktive Rigidität der Klimapolitik muss ein Ende haben. Wir können leider nicht alles auf Knopfdruck klimaneutral machen. Es bedarf Brückentechnologien und konkreter Transformationspfade, die man nicht gegen, sondern mit der Wirtschaft erarbeiten muss. Wenn der Wasserstoff nicht gleich ganz grün ist, sondern low-carbon – dann sind wir schon auf gutem Weg. Wenn der Stahl nicht gleich ganz klimaneutral ist, aber in einer ersten Stufe der Einsatz von Kohle durch Gas ersetzt wird: Auch das wäre schon ein Erfolg.
2 _ Solar- und Windenergie sind von enormer Bedeutung für die Energiewende. Aber die Konzentration darauf ist ein Irrweg. Wir brauchen die Entfesselung aller Technologien, die CO2 reduzieren beziehungsweise binden: CCS und CCU (also die Abscheidung, Speicherung, am besten sogar die Nutzung von CO2 als Rohstoff), grüne Gase, Biomethan, synthetische Kraftstoffe. E-Fuels sind in Wahrheit nichts Anderes als erneuerbare Energien aus der Flasche – warum dieser ideologische Streit um den «Verbrenner»? Nicht der Motor stößt Treibhausgase aus, sondern der Treibstoff. Wenn wir den klimaneutral herstellen, wäre das eine große Chance nicht nur für Neuwagen, sondern vor allem auch für die weltweite Bestandsflotte von 1,4 Milliarden PKW. (Anm.: Pflüger geht von der unbewiesenen Annahme aus, dass CO2 einen nennenswerten Beitrag zum Anstieg der Erderwärmung liefert.)
3 _ Der Kampf gegen den Klimawandel wird nicht dadurch gewonnen, dass wir in Europa «net zero»-Musterknaben sind. Entscheidend ist, was in China und anderen Schwellenländern passiert. Wir sollten einen Teil unserer Mittel etwa in eine internationale Anstrengung zur Reinigung der 200 schlimmsten CO2-Schleudern in der Welt investieren.
4 _ Ziele sind gut, wenn sie ambitioniert, aber auch erreichbar sind – sonst führen sie irgendwann zu Frustration und Abwendung. Die Ersatzhandlung der Politik, statt durchschlagender Klimaerfolge immer höhere und immer mehr ins regulatorische Mikromanagement abdriftende Einzelziele zu fordern und diese als Erfolge auszugeben, sind wenig eindrucksvoll. Der Emissionshandel wirkt doch. Warum ihn durch zahlreiche Sektor- und Technologievorschriften in seiner Wirkung einengen?
5 _ Und schließlich: die Atomkraft. Auf der ganzen Welt gibt es eine Bewegung, welche die nukleare Energie als Ergänzung zu den erneuerbaren Energien vorsieht. Nicht die alten Reaktoren, sondern eine neue Generation Small Modular Reactors (SMR). Außerdem gibt es gerade in der Schweiz – zum Beispiel durch das Unternehmen Transmutex – inzwischen eine Technologie, die das Endlagerthema löst beziehungsweise wesentlich entspannt: Partition and transmutation ist eine Technologie, die schon sehr bald durch die Verarbeitung von gebrauchten nuklearen Brennstäben Energie produziert und gleichzeitig die Menge und Radioaktivität des «Restmülls» dramatisch reduziert. Das sollte sich die Politik in Europa genau ansehen!
6 _ Die Klimabewegung und die Grünen sollten sich von dem eifernden Hochmut verabschieden, mit dem sie ihre Politik in den letzten Jahren vorangetrieben haben. Die Bilanz ist nicht annähernd dazu angetan, den besserwisserischen Moralismus zu rechtfertigen. Die Bewegung sollte sich von radikalen Apologeten und Theorien distanzieren, die auf die Schrumpfung der Wirtschaft als Mittel zur Minimierung der Treibhausgasemissionen setzen.
Je pragmatischer, technologieoffener und kostenbewusster die Politik die Energiewende gestaltet, desto stärker wird die Akzeptanz in der Bevölkerung wieder zunehmen.”
*) Friedbert Pflüger war von 1998 bis 2006 stellvertretender Landesvorsitzender der CDU in Niedersachsen, von 1999 bis 2005 war er Vorsitzender des Bundesfachausschusses für Außen- und Sicherheitspolitik der CDU und zwischen 2000 und 2010 Mitglied des Bundesvorstandes der CDU, von 2006 bis 2008 als gewähltes Mitglied des Präsidiums der CDU. 210 wurde Pflüger Direktor des European Centre for Climate, Energy and Resource Security (EUCERS) am King’s College London und zugleich Gastprofessor an der Universität. 2020 verlegte Pflüger EUCERS an die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, wo er seitdem einen Lehrauftrag für Energie- und Klimapolitik wahrnimmt (nach Wikipedia).
Dieser Tage erscheint von Pflüger: «Energiewende besser machen – Technik und Wirtschaft statt Ideologie» (Herder-Verlag).
[1] Die WELTWOCHE Nr.37/2024 vom 12.September 2024