Union will die Kernenergie-Option offenhalten

Wie das Handelsblatt am 26. 09.2024 berichtete, fordert die Unionsfraktion ein „Rückbau-Moratorium“ für die im vergangenen Jahr abgeschalteten letzten drei Kernkraftwerke. Auslöser dazu sei die Wiederinbetriebnahme eines Blocks des 2019 abgeschalteten Three Mile Island-Kernkraftwerkes in den USA –  auf Wunsch des US-Softwarekonzerns Microsoft.

Diese Ansicht vertrat der Unionsvize Jens Spahn (CDU): „Die Ampel muss sicherstellen, dass die Kernkraftwerke nicht zerstört werden. Die Bürger müssen bei der nächsten Bundestagswahl auch darüber entscheiden können, ob die Kernkraftwerke wieder ans Netz sollen. Die Abschaltung sei ein schwerer Fehler gewesen. Der günstige Strom fehlt unserer Wirtschaft“.

Fatih Birol, Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), teilt laut Handelsblatt die Einschätzung. „Ich hätte die Kernkraftwerke nicht stillgelegt. In meinen Augen war das ein strategischer Fehler“, sagte Birol dem „Tagesspiegel Background Energie & Klima“. Wenn die technischen Bedingungen stimmten und wenn es „sicher machbar wäre“, würde er „eine Wiederinbetriebnahme in Betracht ziehen“, sagte Birol.

Durch das Moratorium soll der Rückbau der abgeschalteten Kernkraftwerke verhindert und die Möglichkeit einer Wiederinbetriebnahme offengehalten werden.

Lesen Sie dazu auch „Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke“ und „Eindeutiges Bekenntnis zur Kernkraftnutzung für die Stromerzeugung“.

Die Wiederinbetriebnahme wäre machbar, aber…

Das Handelsblatt befragte den Physiker Ulrich Waas, von 2010 bis 2021 Mitglied der Reaktor-Sicherheitskommission:

„Eine Wiederinbetriebnahme der drei zuletzt abgeschalteten Reaktoren ist technisch möglich. Der Rückbau stillgelegter Reaktoren ziehe sich über viele Jahre hin und stehe im Fall der drei Anlagen erst ganz am Anfang.” Hohen Erneuerungsbedarf sieht Waas nicht: Die Reaktoren „entsprachen zum Zeitpunkt der Außerbetriebnahme vor anderthalb Jahren dem zu diesem Zeitpunkt aktuellsten Stand des Regelwerks“. Daher könne man davon ausgehen, dass keine Nachrüstpflichten bestünden.

Die rechtlichen Hürden für eine Wiederinbetriebnahme hält er für überschaubar. „Die Anlagen verfügen nach ganz überwiegender Einschätzung von Juristen nach wie vor über eine gültige Betriebserlaubnis“, sagt er. „Allerdings darf mit den Anlagen gemäß Atomgesetz kein Strom mehr produziert werden. Aber das Atomgesetz lässt sich natürlich ändern, wenn sich dafür politische Mehrheiten finden, wie dies schon Ende 2022 für den Weiterbetrieb bis 15. April 2023 gemacht wurde.“

Entscheidend ist aus Sicht von Waas die Frage, für wie lange man die drei Reaktoren wieder in Betrieb nehmen will. „Für einen Betrieb von einem Jahr wird kein Betreiber größeren Aufwand in Kauf nehmen. Sollte man aber beispielsweise von zehn Jahren zusätzlicher Betriebsdauer ausgehen, sieht die Sache ganz anders aus“, sagte er.

Allerdings hat er Zweifel, ob es gelingen könnte, die Leute für den Betrieb der Anlagen zu finden. „Das größte Problem ist weder technischer, noch genehmigungsrechtlicher Natur. Ich sehe es vielmehr darin, die Fachleute, die man für das Herstellen der Betriebsfähigkeit sowie den Betrieb der Reaktoren braucht, davon zu überzeugen, wieder an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren. Die Leute seien tief enttäuscht von Teilen der Politik. Sie haben registriert, dass Teile der Bundesregierung insbesondere in den Jahren 2022 und 2023 nicht fair gespielt haben. Es dürfte sehr schwer werden, diese Leute dafür zu gewinnen, wieder an die Arbeit zu gehen“, sagte Waas.

Die Energieversorgungsunternehmen sind in der Tat zurückhaltend. Beispielsweise hatte Eon-Chef Leonard Birnbaum betont, „das Wiederanfahren der Anlagen sei möglich. Technisch können wir das, aber dafür brauche es eine Entscheidung der Politik. Und die sehe er nicht“. Auch Birnbaum hielt den Ausstieg für eine politische Fehlentscheidung.

Deutschlands Nachbarstaaten Niederland und Schweiz, die ebenfalls den künftigen Bedarf der Kernenergie infrage gestellt hatten, haben sich umorientiert:

Die niederländische Regierungskoalition unter Ministerpräsident Rutte hatte sich im Dezember 2022 auf nicht weniger als die Rückkehr zur Kernenergie verständigt. Die Niederlande sollen im nächsten Jahrzehnt zwei neue Kernkraftwerke bekommen. Um den «Kampf gegen die Erwärmung der Erde» zu gewinnen“, wie es im Vertrag der vier Parteien heißt, soll auch das einzige noch bestehende Kernkraftwerk in Borssele in der Provinz Zeeland länger am Netz bleiben.

Die Regierung der Schweiz, der Bundesrat, hat sich am 28.08.2024 für die Aufhebung des Technologieverbotes für Kernenergie ausgesprochen. Der Bundesrat sieht die Notwendigkeit infolge des deutlich steigenden Strombedarfes. Das Verbot ist Teil der in 2017 per Referendum beschlossenen Energiestrategie 2050. Die geopolitischen Unsicherheiten seit 2022 haben Zweifel geweckt, ob jederzeit bei Bedarf genug Strom importiert werden kann und erachtet daher eine größere Stromeigenproduktion für erforderlich.