Der Tunnelblick der Klimapolitik

Der Regenwald ist Geschichte.

Diese Karte Südamerikas war eine Beilage in vielen Tageszeitungen in Deutschland:[1]

Der Weckruf des WWF (World Wildlife Fund) zeichnet ein düsteres Bild für unseren Planeten. Zurecht, denn die Zerstörung der Natur im Amazonasgebiet ist akut, final, und sie hat globale Auswirkungen. Das Amazonasgebiet hat eine herausragende Bedeutung für die Verteilung von Wasser, Energie und Nährstoffen auf der Erde, und damit kommt ihm eine Schlüsselrolle zur Stabilisierung des Erdklimas zu.

Doch der Zeitgeist hält die Menschheit gefangen in einem dunklen Tunnel: der Tunnelblick auf  CO2 als Ursache für den Klimawandel versperrt die Sicht auf tatsächlich menschengemachte Ursachen für Umweltveränderungen. Die Ursachen für das Artensterben und die Ausmaße und Konsequenzen von Extremwetterereignissen liegen in der Zerstörung von immer mehr Lebensräumen für Tier, Pflanze und Mensch. Wenn die Menschheit diesen Tunnelblick nicht aufgibt, dann wird es bald nichts mehr geben, wofür es zu kämpfen lohnt.

Ursachen der Zerstörung

Analysen von Fallstudien haben drei Hauptursachen identifiziert, welche die Waldzerstörung vorantreiben:[2a]

  • Expansion der Landwirtschaft und die damit einhergehende Umwandlung von Wäldern in Acker- und Weideflächen ist die größte Triebkraft bei der Zerstörung tropischer Wälder, und spielt in 96 Prozent der weltweit untersuchten Fälle von Entwaldung eine Rolle. Die spezifischen Ursachen unterscheiden sich je nach Region, z. B. sind es hauptsächlich Land- und Viehwirtschaft in Brasilien und das Anlegen von Palmölplantagen in Indonesien.
  • Vordringen von Infrastruktur wie Straßen und menschlichen Siedlungen ist in 72 Prozent der Fälle eine treibende Kraft bei der Waldzerstörung. Besonders in Lateinamerika spielt sie mit einem Anteil von 83 Prozent eine bedeutende Rolle.
  • Holznutzung ist in 67 Prozent der Fälle eine Ursache der Waldzerstörung.

Diese Faktoren wirken meistens zusammen und verstärken sich gegenseitig. Die ‚Ursünde‘ der Zerstörung ist meistens der Ausbau von Infrastruktur, wie z. B. das Anlegen einer Straße. Das ebnet den Weg: 80% der Entwaldung im Amazonasgebiet liegen weniger als 30km entfernt von offiziellen Straßen.[2b]

Neben der Zerstörung von Waldfläche ist die Holznutzung ebenfalls viel zu hoch. Einer Studie des WWF Deutschland und der Universität Kassel zufolge, werden weltweit jährlich 4,3 – 5 Milliarden Kubikmeter Holz geschlagen (Stand 2022), und „das seien 2 Milliarden Kubikmeter zu viel“.[3] Eine bedenkliche Tatsache ist folgende: Deutschland verbraucht doppelt so viel Holz pro Kopf als der weltweite Durchschnitt.[3]

Diese Zerstörung erfolgt 100% durch Menschenhand. Der heutzutage für jegliches Umweltproblem verantwortlich gemachte Klimawandel spielt bei dieser Zerstörung keine Rolle.

Ausmaß der Zerstörung

Ein kurzer Blick in die Vergangenheit offenbart, dass der Mensch seit dem Entstehen der ersten Hochkulturen vor etwa 8000 Jahren massiv in seine Umwelt eingegriffen hat. Er hat seine Umwelt bewusst gestaltet, immer schneller, immer rigoroser und mit fatalen Konsequenzen.

Weltweit gibt es ca. 4 Milliarden Hektar Wald. Das entspricht etwa 31% der Landfläche. Der Amazonas bedeckt eine Fläche von ca. 0,5 Milliarden Hektar und wird geteilt von 9 Ländern; Brasilien hat mit 60% bei weitem den größten Anteil davon.[4] Die Verteilung der Zerstörung im Amazonasgebiet ist in der folgenden Abbildung zu sehen.[5] Die Daten der RAISG (Rede Amazônica de Informação Socioambiental) sind von 2022: ‚Transformed Areas‘ bezieht sich auf Flächen, die bereits irreversibel transformiert wurden. In Brasilien sind demnach bereits 1/4 der ursprünglichen Regenwaldfläche vernichtet worden.

Zwischen 1990 und 2010 ist die Waldfläche weltweit um 135 Millionen Hektar oder 3,2 % zurückgegangen, dies entspricht etwa der vierfachen Landesfläche Deutschlands. Die Entwaldung findet dabei hauptsächlich in tropischen Ländern statt.[2c] Bis 1990 war ein Fünftel der Tropenwälder weltweit verschwunden, in Asien sogar 30 Prozent.[2d]

Zwischen 2000 und 2010 wurden jährlich im Durchschnitt 1,65 Millionen Hektar Amazonas-Regenwald vernichtet – das entspricht 3,14 Hektar oder 4,4 Fußballfeldern pro Minute![2e] Stand heute, laut WWF-Poster sind es ‚nur‘ noch 3 Fußballfelder pro Minute.[1] Insbesondere der Verlust von Tropenwald kann nicht ausgeglichen werden durch Plantagen oder Aufforstungen anderswo, weil der Tropenwald viel viel mehr ist als eine Ansammlung von Bäumen.

In Europa scheint das EU-Renaturierungsgesetz von 2024 trotzdem ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung zu sein.[6] Dieser Wunsch auf Wiederherstellung der Natur relativiert sich, wenn man sich die Geschichte des ‚Knepp Castle Estate‘ in West Sussex, England, betrachtet. Isabella Tree beschreibt, wie die landwirtschaftliche Nutzung über Jahrhunderte hinweg den Boden verändert hat. Es dauerte Jahre, ihn wieder zu renaturieren. Dazu bedurfte es nicht nur viel Arbeit, sondern auch harte Kämpfe mit einer Vielzahl von Behörden und Organisationen. Es ist außerdem schockierend zu lernen, dass es sogar einen heftigen Streit unter Experten gab und gibt, wie genau England vor 7000 Jahren überhaupt ausgesehen hat.[7]

Blickt man zurück zu den Anfängen der Menschheit seit dem Ende der letzten Eiszeit, so wird das ganze Ausmaß der ‚gestalterischen‘ Tätigkeit des Menschen deutlich:

  • Erde, global: während der letzten 8000 Jahre wurden 78 % der Urwälder zerstört.[2f]
  • Europa: vor 6000 Jahren noch zu 80% bewaldet, heute nur noch zu 40%; nur 0,2% gelten davon noch als Urwald [8]
  • Deutschland: um 1400 nur noch zu 26% bewaldet, heute wieder zu 32%, das entspricht einer Fläche von 11,1 Millionen Hektar.[9] Zur Wahrheit gehört, dass der heutige Wald unvergleichbar ist mit dem von 1400, und dass Deutschland zur Römerzeit nahezu komplett bewaldet war.

Diese Zerstörungen sind 100% anthropogen, ganz ohne die Mitwirkung von anthropogenen  CO2 – Emissionen. Der Mensch hat sich so weit von der Natur entfernt, dass er vergessen hat, wie ursprüngliche Natur überhaupt aussieht.

Biogeochemische Zyklen 

Photosynthese und Atmung: Das Amazonasgebiet wird oft als die ‚grüne Lunge der Erde‘ bezeichnet, denn tagsüber ist es eine gigantische Photosynthesefabrik, die Sauerstoff und Biomasse produziert. Nachts atmen die Pflanzen, was dem Umkehrvorgang der Photosynthese entspricht; der oxidative Vorgang des Absterbens der Bäume komplettiert den Abbau von Biomasse. Letztendlich liegt hier eben ein perfekter, natürlicher Kohlenstoff- und Sauerstoffkreislauf vor. Solange der Wald lebt, hat die Photosynthese die Oberhand, stirbt der Wald, so sterben alle von ihm abhängigen Lebewesen mit, und zusätzlich konvertiert die Region zu einem Nettoproduzent von CO2.

  • Photosynthese: CO2 + Wasser + Sonnenlicht ————-> Biomasse + Sauerstoff
  • Atmung, Zersetzung: Biomasse + Sauerstoff ————-> CO2 + Wasser

Die Produktion von Sauerstoff durch das Amazonasgebiet ist aus diesen Gründen nicht so bedeutend, wie gemeinhin angenommen. Weitaus bedeutender für die Produktion von Sauerstoff auf der Erde ist das Phytoplankton der Ozeane. Daher ist der Ausdruck ‚Amazonien – die Grüne Lunge der Erde‘ etwas irreführend.[10]

Wasserkreislauf und Energietransport: Der Begriff ‚Lunge der Erde‘ hat trotzdem seine Berechtigung: Lungen sind Umwälzpumpen von Atemluft (Sauerstoff, CO2 und Feuchtigkeit – H2O). Gigantische Luft – und Wassermengen werden im Regenwald umgewälzt, denn der Regenwald ist eine Wettermaschine.[11] Die starke Sonneneinstrahlung am Äquator führt zur Erwärmung des Bodens und der darüber liegenden feuchten Luft des Regenwaldes. Sie steigt auf, dehnt sich dabei aus und erzeugt ein Hochdruckgebiet; in Bodennähe dagegen entsteht Tiefdruck. Die aufsteigende feuchte Luft kühlt sich immer mehr ab, bildet Wolken und schließlich Regen. Aufgrund der Corioliskraft werden die aufsteigenden Luftmassen auf eine Schlangenlinie gezwungen und so auf der Erde verteilt. Die Ströme von Wasserdampf sind so mächtig, dass sie auch als ‚fliegende Flüsse’ bezeichnet werden.[5, 12] Sie stellen biotische Pumpen dar und sind bedeutend für die Temperaturregulation der Erde, denn die Wechselspiele der Luftströmungen stellen physikalisch gesehen Energieströme dar.

Waldflächen und Wasserflächen erwärmen sich langsamer als durch menschliche Infrastruktur versiegelte und durch Landwirtschaft exponierte Flächen. Sie haben daher erhebliche Auswirkungen auf das lokale Klima, und gemessen an der Ausdehnung des Amazonasgebiets natürlich auf das globale Klima.

Nährstoffzyklus: Der unermessliche Nährstoffbedarf dieses größten Regenwaldes der Welt wird größtenteils aus einer unerwarteten Quelle gedeckt. Sandstürme in der Sahara liefern über 50% der Nährstoffe in Form von Sulfaten, Phosphaten, Eisenoxyd usw. Die größte natürliche Staubquelle der Welt, die Bodélé-Niederung im Tschad, spielt hier aufgrund seiner besonderen topologischen Beschaffenheit die Hauptrolle: die Gebirgszüge bilden gewissermaßen einen ‚Windkanal‘, der den Saharastaub über den Atlantik bläst.[13]

Der Mensch ist im Begriff, diese Kreisläufe zu zerstören, jedoch nicht indem er durch das Verbrennen von fossilen Brennstoffen CO2 emittiert.

Holznotstand im späten Mittelalter

Bis ins 17. Jahrhundert galt zumindest für die Christen nahezu uneingeschränkt die biblische Maxime „Macht Euch die Erde untertan.“ Die Auffassung René Descartes (1596 – 1650), dass Tiere und Pflanzen keinen Geist haben, tat ein Übriges, denn dadurch wurden sie zu ‚Materie’ degradiert. Im 18. Jahrhundert begannen die ersten Biologen, vornehmlich Botaniker, die belebte Natur genauer zu beobachten. Sie beschrieben einfache Wechselbeziehungen zwischen Pflanzen und Tieren und den Böden, auf denen sie leben. Als Letzterklärung für diese physikotheologischen Beobachtungen galt jedoch immer noch Gott. Religiösen Überzeugungen zufolge ergab alles Sinn. Folgerichtig änderte sich das Verhalten der Menschen nicht.[14, 15a]

Die Wälder fielen auch damals schon den Bedürfnissen des Menschen zum Opfer. Holz war Brennstoff und Baustoff. Holz war das Erdöl des 17. und 18. Jahrhunderts. Es war die Entdeckung von Erdöl und Kohle, das die Wälder vor weiterer Zerstörung rettete.[15a]

  • das Holz der Bäume wurde als Energie für neue Industrien, wie Metallverhüttung und Glasbläserei, und als Baumaterial für Schiffe, Flöße und Häuser benötigt
  • die Flächen der Wälder fielen Siedlungen und Landwirtschaft zum Opfer

Man holzte die Wälder auf beiden Seiten des Atlantiks brutal ab: Aussagen des amerikanische Botanikers Stefan Bertram (1699 – 1777: „Der Holzbestand wird bald weitgehend zerstört sein“), und John Evelyn, Gründermitglied der ‚Royal Society‘ (1620 – 1706: „Es wäre besser wir hätten Goldknappheit statt Holzmangel“) seien hier exemplarisch genannt, um die prekäre Situation der Wälder in Nordamerika und Europa zu beschreiben.[15a]

Alexander von Humboldt (1769 – 1859) änderte das Bewusstsein entscheidend, denn er nahm Gott aus dem Spiel und richtete den Fokus auf den Menschen. Der Mensch war selbst verantwortlich für die Umweltschäden, die er anrichtete und die damit einhergehenden Konsequenzen: „In der großen Verkettung von Ursachen und Wirkungen, darf kein Stoff, keine Tätigkeit isoliert betrachtet werden.[14b]

Konsequenzen der Zerstörung

Regenwälder bedecken zwar nur 7 Prozent der Erdoberfläche, beherbergen aber 50 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten.[2g] Auf einem Quadratkilometer Amazonasgebiet befinden sich mehr Tier- und Pflanzenarten als in ganz Europa. Auf den ersten Blick erscheint es daher paradox, dass der Boden arm an Nährstoffen ist, der Boden gehört sogar zu den nährstoffärmsten Böden der Welt.[16] Der Grund ist, dass der Lebenszyklus quasi ausschließlich über der Erde stattfindet. Bäume sind das Rohstofflager des Regenwaldes, ihre Wurzeln halten den Boden zusammen.

Wo der Regenwald stirbt hält nichts mehr den Boden zusammen, denn Niederschläge waschen die ungeschützte Erde ins Meer, er ist damit unwiderruflich verloren. Das heißt, er ist nicht ganz verloren, er ist nur woanders, denn die Natur lässt nichts verkommen. Diese Rohstoffe werden nur neu von Mutter Natur verteilt. Das reichhaltige ‚Rohstofflager‘ ist halt ‘nur’ für alle derzeit dort existierenden Lebewesen unwiderruflich verloren, den Menschen eingeschlossen.

Die Magdalenenflut [17] von 1342 war so verheerend, weil durch die weitreichende Entwaldung der Boden schutzlos den Wassermassen ausgeliefert war; Schätzungen zufolge schrumpfte die Waldfläche in Mitteleuropa während der mittelalterlichen Warmzeit von 90% auf 20% (heute sind es wiederum ca. 30%).[18] Eine Reihe von Überschwemmungen ereigneten sich zu dieser Zeit des Übergangs von der mittelalterlichen Warmzeit zur ‘Kleinen Eiszeit’. 600 – 700 Jahre später hat sich die Lage in Deutschland nur unwesentlich verbessert; außerdem hat der heutige Wald wenig zu tun ‘Urwald’. Das Trockenlegen aller Arten von Mooren und Feuchtgebieten überall in Europa tat ein Übriges. Der Flächenbedarf durch Ausbau von Landwirtschaft, Siedlungen und Infrastruktur wächst ständig, mit dem Resultat, dass unsere Böden immer weniger Wasser speichern können. 

Regen und Überschwemmungen haben dadurch schwerwiegende Konsequenzen. Der Mensch hat Eingriffe im Quellbereich und im Lauf der Flüsse vorgenommen, und das alles verringert die Aufnahmekapazität der Böden für Wasser.

Weltweit haben Abholzung, Trockenlegung von Mooren und vermehrter Ackerbau zur Folge, dass die Verdunstung jährlich um fünf Prozent zurückgeht, der Oberflächenabfluss sich um 7% erhöht und die Oberflächentemperatur um 0,3ºC steigt. Wissenschaftler schreiben diesem Effekt 18 – 40% des Klimawandels zu.[12] 

Hier findet man zumindest Teilerklärungen für viel Hochwasserkatastrophen und die Erhöhung der Erdtemperatur.

Vermarktwirtschaftlichung

Um das alles in den Tunnelblick des heutigen Zeitgeistes einzuordnen, seien hier die nüchternen CO2 – Mengen (in Gt = Gigatonnen) aufgeführt, die im Amazonasgebiet gespeichert werden.[19] Sie sind zu vergleichen mit den CO2 – Mengen (globales CO2 – Budget [20]), die emittiert werden dürfen zur Erreichung des Pariser 1.5ºC – Ziels, und letztendlich mit den CO2 – Emissionen der Welt und Deutschlands:

  • 367 – 733 GtCO2: geschätzter Kohlenstoffgehalt im Amazonasgebiet [19]
  • 360 – 420 GtCO2: 66% Wahrscheinlichkeit zur Erreichung des Ziels, wenn diese Kohlenstoffmenge verbrannt wird [19]
  • 460 – 510 GtCO2: 50% Wahrscheinlichkeit zu Erreichung des Ziels, wenn diese Kohlenstoffmenge verbrannt wird [19]
  • 41 GtCO2: globale CO2 – Emissionen 2024 [21]
  • 0,66 GtCO2: Deutschlands CO2 – Emissionen 2024 [22]

In Anbetracht dieser Zahlen ist der Tunnelblick der Energiepolitik erstaunlich:

Ihr blinden Führer, die ihr Mücken aussiebt, aber Kamele verschluckt!“ (Lutherbibel 2017)

Man schluckt also das ‚Kamel‘, obwohl ‚Elefant‘ hier passender wäre, d.h. man lässt den Amazonas, den größten Land-Kohlenstoffspeicher der Erde, vor die Hunde gehen. Der Amazonas allein torpediert die Klimaziele, wenn er verschwindet;[19] außerdem würde sich das Weltklima tatsächlich verändern. Man konzentriert sich lieber weiterhin auf ‚Mücken‘ (in Anbetracht der 31000 ineffizienten Windenergieanlagen alleine in Deutschland ist dieser Vergleich durchaus treffend).

Wenn man also tatsächlich CO2 – Emissionen senken wollte, dann wäre es sinnvoller und billiger, die Zerstörung der Regenwälder zu stoppen. Die Natur würde es mit Zins und Zinseszinsen belohnen.

Mehr als nur Kohlenstoffspeicher

Feuchtgebiete sind das perfekte Beispiel für Tunnelblick: Feuchtgebiete werden heute als wichtige Senken für Kohlenstoff angesehen, und sind damit in den Fokus gerückt im Kampf gegen den Klimawandel. Sie bedecken heute etwa 4% der Erdoberfläche, aber 40% aller Tierarten leben dort oder machen dort halt.[23] Sie sind ebenfalls brillante Wasserspeicher. In England verschwanden 90% der Feuchtgebiete seit der Industriellen Revolution.[6] Hier hat man eine weitere Quelle anthropogener CO2 – Emissionen, nämlich die, die bedingt durch die Trockenlegungen von Feuchtgebieten seit der Industriellen Revolution emittiert wurden.

Der Amazonas und all die anderen Wälder, Feuchtgebiete usw. sind so viel mehr als nur Speicher von Kohlenstoff. In den Ozeanen befindet sich 16 mal so viel Kohlenstoff, wie in der Landbiosphäre.[24] Diese Sichtweise auf alles Leben als Kohlenstoffspeicher ist einseitig und daher fatal. Bäume sind für den Menschen also immer noch ‚nur‘ Holz, weil sie gemäß des Zeitgeistes in CO2 – Äquivalente umgerechnet werden. Das ist rigoroser Reduktionismus. Erneut, wie schon im Mittelalter, wird Biomasse ‚vermarktwirtschaftlicht’.

Der britische Wissenschaftsjournalist Nigel Calder brachte es 1998 auf den Punkt: „Alle Parteien der Industriestaaten, ob rechts oder links, werden die CO2 – Erderwärmungstheorie übernehmen. Dies ist eine einmalige Chance, die Luft zum Atmen zu besteuern. Weil sie damit angeblich die Welt vor dem Hitzetod bewahren, erhalten die Politiker dafür auch noch Beifall. Keine Partei wird dieser Versuchung widerstehen.“[25]

2010 wurde diese Aussage von Ottmar Edenhofer (ehemaliger Chefökonom am Potsdam Institut für Klimaforschung) in einem Interview bestätigt. „Dass die Besitzer von Gas, Kohle und Öl davon [Anm.: Klimapolitik] nicht begeistert sind, das liegt auf der Hand. Man muss sich von der Illusion freimachen, dass internationale Klimapolitik Umweltpolitik ist. Das hat mit Umweltpolitik, mit Problemen wie Waldsterben und Ozonloch, fast nichts mehr zu tun.[26]

Klimapolitik ‚Made in Germany‘ – Symbolpolitik

Alles, was gegen die Natur ist, hat auf die Dauer keinen Bestand“, erkannten bereits Charles Baudelaire (1821 – 1867) und Charles Darwin (1809 – 1867) im 19. Jahrhundert. Heute ist diese Erkenntnis zwar selbstverständlich, aber trotzdem wird sie weiterhin missachtet.

Ein intaktes Ökosystem ist ein stabiles System. Die inhärente Komplexität verleiht dem System Resilienz. Die Zerstörung der Natur durch den Menschen schreitet aber selbst über 200 Jahre nach der Aufklärung weiter fort, und das sogar immer schneller. Dieser ‚Fortschritt’ ist zu schnell für Lebewesen. Sie haben zu wenig Zeit sich immer weniger und kleinere Lebensräume anzupassen und daher verschwinden sie. Im Namen der Klimapolitik sollen aber die Lebewesen gerettet werden. 

Wie passen Ziel und Wirklichkeit zusammen? Es drängen sich einige Fragen auf:

  • Sind die oben am Beispiel des Amazonasgebietes exemplarisch vorgestellten Umweltschäden zurückzuführen auf die Verbrennung von fossilen Brennstoffen?
  • Können diese Zerstörungen aufgehalten werden durch den Umbau der Energiewirtschaft auf Windenergieanlagen und Solarzellen?
  • Welchen Beitrag leisten Wind- und Solaranlagen? ‚Die Energiewende‘ ist nichts anderes als eine Umverteilung von einem Typus von Rohstoff auf mehrere Typen von Rohstoffen: jetzt wird fast das gesamte Periodensystem der Elemente genutzt, insbesondere die Seltenen Erden. Die Verschwendung ist sogar potenziert, bzgl. Rohstoffmengen, Komplexität von globalen Lieferketten für Transporte sowie Ineffizienz der Energiegewinnung (Stichworte: Energiedichte und Volatilität von Sonne und Wind). Windenergieanlagen sind Klimaschutzsymbole.
  • Sind Windenergieanlagen Flächenfresser? Sie verbrauchen Flächen in Übersee zwecks Gewinnung der Rohstoffe und deren Aufarbeitung. Im Inland benötigt jede der ca. 31000 Anlagen in Deutschland Flächen für den eigenen Standort plus Infrastruktur, bestehend aus Zugangswegen für die Anlage und den zugehörigen Stromtrassen. Hier sind alle drei oben genannten Hauptgründe für Waldzerstörung in Aktion.
  • Ist der Erhalt von Ökosystemen nicht von wesentlich herausragenderer Bedeutung, als die Besessenheit mit Emissionsreduktionen von genau DEM Molekül, CO2, zu verringern, das das Lebenselixier genau dieser Ökosysteme darstellt?
  • Wäre die Reduktion von Verschwendung im Umgang mit unseren Konsumgütern nicht ein wesentlich sinnvollerer und billigerer Beitrag zur Schonung der Natur?

Der Tunnelblick auf CO2 versperrt den Blick auf wirkliche Probleme. Selbst der WWF richtet in seinen Zustandsberichten einen erheblichen Teil seines Fokus auf CO2 und das Pariser 1.5ºC – Ziel. Wäre Klimapolitik ernst gemeint, dann würde der Fokus auf dem Schutz der Regenwälder liegen. Das wäre tatsächlich billiger, effizienter und besonders nachhaltig. Stattdessen baut man lieber teure, ineffiziente und verschwenderische Windenergieanlagen. Diese verschwenderische Politik verschmilzt Symbolenergiepolitik mit Symbolnaturschutzpolitik. Wir brauchen eine Verschwendungswende, statt einer verschwenderischen Energiewende.[27]

Der Mensch muss mehr Natur wagen. Dazu ist ein radikales Umdenken erforderlich. Die deutsche Klimapolitik steuert nichts zur Lösung irgendeines der in diesem Artikel dargelegten Probleme bei, sie verschärft sogar die Zerstörung der Natur.

Nichts tun‘ ist immer eine Option im Leben. Was aber wird passieren, wenn nichts passiert, wenn der Mensch nichts unternimmt gegen die Zerstörung der Natur?

Quellenverzeichnis:

[1] https://www.wwf.de/amazonas?em_cmp=beilage/amazonas&em_src=print&utm_campaign=amazonas&utm_medium=shortcut&utm_source=print-beilage

[2a] https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Wald/WWF-Waldzustandsbericht.pdf (Seite 47); [2b] ibid Seite 50; [2c]  ibid Seite 18; [2d] ibid Seite 14; [2e] ibid Seite 27; [2f] ibid Seite 5; [2g] ibid Seite 58

[3] https://www.energiezukunft.eu/umweltschutz/weltweiter-holzverbrauch-uebersteigt-nachhaltiges-angebot

[4] https://www.bmel.de/DE/themen/wald/waelder-weltweit/waelder-weltweit_node.html

[5] https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Amazonas/WWF-UK-Technical-Briefing-Risking-the-amazon.pdf

[6] https://www.bmk.gv.at/service/presse/gewessler/2024/0619_renaturierungsgesetz.html

[7] Isabella Tree: ‘Wilding’ – The return of nature to a British farm, 1. Ausgabe, 2018

[8] https://www.wwf.de/themen-projekte/waelder/wenn-wald-wieder-wild-wird-europas-naturerbe

[9] https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/waelder/lebensraum-wald/13284.html

[10] https://www.faszination-regenwald.de/info-center/oekosystem-regenwald/gruene-lunge/

[11] https://geolinde.musin.de/index.php/klima1/klima-q11/1277-t-afritc-2.html

[12] https://www.biopress.de/de/inhalte/details/8079/baeume-als-regenmacher.html

[13] https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2010/sahara-staub-duengt-regenwald-im-amazonas/ und https://globalmagazin.eu/themen/natur/sahara-staub-duengt-den-regenwald-des-amazonas/

[14] https://journals.univie.ac.at/index.php/rhy/article/download/7201/7165/17688

[15a] Andrea Wulf: ‘Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur’, 12. Auflage, 2015, Seite 85 ff; [15b] ibid Seite 24

[16] https://www.dw.com/de/amazonas-üppige-regenwälder-nutzlose-böden/a-50135514

[17] https://www.rheindrache.de/magdalenenflut-1342/

[18] Wolfgang Behringer: ‘Kulturgeschichte des Klimas – Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung’, 10. Auflage, 2021, Seite 110

[19] https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Amazonas/WWF-UK-Technical-Briefing-Risking-the-amazon.pdf (Seite 12)

[20] https://www.mcc-berlin.net/en/research/co2-budget.html?utm_medium=website&utm_source=archdaily.com.br und https://climateanalytics.org/comment/is-the-15c-limit-still-in-reach-faqs

[21] https://www.mpg.de/23729143/co2-emission-bilanz-2024#

[22] https://www.agora-energiewende.de/publikationen/die-energiewende-in-deutschland-stand-der-dinge-2024#

[23] https://www.dw.com/de/klimaschutz-natur-biodiversität-blumenerde-torf-co2-emissionen/a-56403955# und https://www.uni-goettingen.de/de/nachricht+08.02.2023+-+massiver+verlust+natürlicher+feuchtgebiete+in+den+letzten+drei+jahrhunderten+-+artikel+in+nature/691419.html

[24] https://worldoceanreview.com/de/wor-1/meer-und-chemie/kohlendioxidspeicher/

[25] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article13466483/Die-CO2-Theorie-ist-nur-geniale-Propaganda.html

[26] https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.ottmar-edenhofer-im-interview-klimaschutz-als-entwicklungshilfe.1054c903-f7a5-4d98-884e-ff284fdb21f4.html

[27] Jürgen Schulz: „Brauchen wir eine Verschwendungswende“? https://www.ageu-die-realisten.com/archives/7650/