„Sowohl kurz- als auch langfristig wird Deutschland nicht in der Lage sein, die russischen Gasimporte zu beenden, ohne wirtschaftliches Chaos, öffentliche Empörung und Widerstand vieler Unternehmen auszulösen. Dafür muss die jahrelange fehlgeleitete Energiestrategie einen Großteil der Schuld tragen,“ schrieb Hans-Werner Sinn in project-syndicat [1].
Deutschland habe seine Energiewende im Vergleich zu anderen westlichen Industrieländern lange Zeit als Vorreiter angesehen. Die politischen Entscheidungsträger erwarteten, dass das Land in der Lage sein würde, seine Energieversorgung vollständig aus erneuerbaren Quellen zu sichern, und beschlossen daher, gleichzeitig aus Kohle und Kernenergie auszusteigen. Die letzten drei der 17 deutschen Kernkraftwerke sollen in diesem Jahr abgeschaltet werden.
Grüne Politiker in Deutschland hofften immer, dass andere Länder dieser Energieagenda nacheifern würden, sobald sie sahen, wie gut sie funktionierte. Doch angesichts des Krieges in der Ukraine erlebt die Welt, wie der deutsche Ansatz zu einem politischen Desaster geführt hat.
Um den doppelten Ausstieg aus Kohle und Atom abzufedern und Versorgungslücken während der langen Energiewende zu schließen, hat Deutschland beschlossen, eine Vielzahl zusätzlicher Gaskraftwerke zu bauen. Schon unmittelbar vor dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine gingen die politischen Entscheidungsträger davon aus, dass das Gas für diese Anlagen immer aus Russland kommen würde, das mehr als die Hälfte des deutschen Bedarfs deckte.
Aber der Krieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin habe dieses Kalkül eindeutig zunichtegemacht. Die übermäßige Abhängigkeit von russischem Gas ist mittlerweile zu einem Sicherheitsrisiko für Deutschland und die gesamte westliche Welt geworden. Es gibt Putin die Macht, Europas größte Volkswirtschaft in die Knie zu zwingen, und es begrenzt gleichzeitig die Chancen des Westens, weitere energiebezogene Sanktionen gegen Russland zu verhängen.
Wie wir wiederholt berichteten, übersehen insbesondere die Grünen, dass die geplante Skalierung der wind- und solarbasierten Energieversorgung immer durch eine regelbare konventionelle Stromproduktion ergänzt werden muss, da Speicherlösungen schwierig und extrem teuer und vor allem nicht vorhanden sind. Dieser Strom wird ins Netz eingespeist, wenn Wind und Sonne nicht genug Energie produzieren, und kann dafür sorgen, dass die Wirtschaft während einer längeren Wind- und Sonnenpause hinreichend mit Strom versorgt wird.
Die braune Fläche stellt den Strombedarf Deutschlands im Stunden-Raster vom 1. bis 30. Januar 2022 dar.
die hellblauen Flächen den Anteil der möglichen Lastdeckung der von Offshore-Windenergieanlagen und die dunkelblauen Flächen den Anteil, der von Onshore-Windenergieanlagen kommt. Die gelben Fächen stellen den Leistungsbeitrag aller Solaranlagen dar. Bei viel Wind, sind die Börsenpreise niedrig, nahe bei Null, manchmal sogar negativ. Bei wenig Wind sind die Börsenpreise hoch, bis zu 400 €/MWh = 40 Ct/kWh. Dass man dann den Strom nicht für 30 Ct/kWh verkaufen kann, ist wohl trivial einzusehen, oder? Quelle: Helmut Alt an ARD-Redaktion am 28.3.2022
Mit anderen Worten: Grüne Energie kann die Abhängigkeit Deutschlands von Gasimporten nach dem Doppelausstieg nicht wirklich beenden. Deutschlands einziger klimaneutraler Weg zur Energieautarkie würde erfordern, wieder in die Kernenergie zu investieren.
„Selbst diejenigen in Deutschland, die optimistischer über das Potenzial von Wind- und Solarenergie sind, sollten zugeben,“ sagte Sinn, „dass kurzfristig auch die Beendigung der russischen Gasimporte, um Putin unter Druck zu setzen, die deutsche Wirtschaft ersticken würde. Für Deutschland ist es einfach unmöglich, das benötigte Erdgas aus anderen Quellen schnell genug zu importieren. Auf dem europäischen Markt gibt es kein Überangebot, und andere Länder, darunter Italien und Österreich, befinden sich in einer sehr ähnlichen, wenn nicht sogar schlechteren Lage. Deutschland hat keine Flüssigerdgasterminals, und LNG-Anlagen anderswo in Europa fehlen die notwendigen Kapazitäten, um russische Lieferungen zu ersetzen. Darüber hinaus ist die Kapazität bestehender innereuropäischer Gaspipelines zu gering.“
Sinn sagt voraus, „wenn Deutschland plötzlich russische Gasimporte stoppt, würden gasbasierte Wohnheizungen – auf die die Hälfte der deutschen Bevölkerung, etwa 40 Millionen Menschen, angewiesen ist – und industrielle Prozesse, die stark von Gasimporten abhängig sind, zusammenbrechen, bevor Ersatzenergie verfügbar wird. Es wäre unwahrscheinlich, dass die Regierung das daraus resultierende wirtschaftliche Chaos, den öffentlichen Aufruhr und die Empörung überleben würde, sollte Gas nicht mehr verfügbar sein oder die Heizkosten dramatisch steigen. Tatsächlich würde das wahrscheinliche Ausmaß der innenpolitischen Störungen den Zusammenhalt der westlichen Reaktion auf den Ukraine-Krieg in Frage stellen.“
[1] https://www.project-syndicate.org/commentary/germany-energy-shambles-dependence-on-russian-gas-by-hans-werner-sinn-2022-03?mc_cid=2f3a01a40a&mc_eid=2560bc397b&barrier=accesspaylog