Für 15 europäische Staaten ist die Kernenergie quasi alternativlos

Die Klimaziele sind ohne Kernkraft nicht zu erreichen, wenn wir nur annähernd unseren Wohlstand erhalten wollen. Der Weltklimarat IPCC sprach sich in seinen Berichten für die Nutzung der im Betrieb CO2-freien Kernenergie aus. Von der Europäischen Union wurde die Kernenergie zusammen mit Gas in diesem Jahr als nachhaltig eingestuft.

Obwohl die letzten drei deutschen Kernkraftwerke einen Beitrag zur sicheren Stromversorgung liefern können, tun sich die Grünen schwer, den Weiterbetrieb über dem 31.12.2022 hinaus zu ermöglichen. Nach langem Hin und Her sollen nun die beiden Kernkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 bis Ende April 2023 weiterbetrieben werden.

„Energiepolitik ist kein Wunschkonzert. Auch wenn es manche nicht wissen: Schon immer ging es in der Energiepolitik neben Umweltschutzzielen ganz nüchtern um Fragen der technischen Machbarkeit, der Preisentwicklung und der Versorgungssicherheit. Der gleichzeitige Kern- und Kohleausstieg ohne jegliches Backup-System führt dieses Land derzeit in eine profunde Energie-, Wirtschafts- und Versorgungskrise. Kaum noch jemand bestreitet die auf uns zurollende “Stromlücke” und die gefährlichen Folgen immer höherer Energiepreise“ (Paulitz).

Wird diese Lücke nicht im eigenen Land geschlossen, bleibt Deutschland vom Wohlwollen anderer Staaten abhängig. Wohin das führt, erleben wir aktuell an der eingestellten Gaslieferung aus Russland, von der Deutschland zu über 50 % abhängig war und derzeit über keine ausreichende Kompensation verfügt.

13 der 27 EU-Staaten nutzen die Kernenergie zur Stromerzeugung. Ferner auch Großbritannien und die Schweiz. Polen plant den Bau von sechs Kernreaktoren: Die erste 1,6 GWe Kernanlage soll 2033 in Betrieb genommen werden, fünf weitere Einheiten sollen bis 2040 folgen.

Deutschland sollte sich Belgien zum Vorbild nehmen, wo die Grünen über ihren antinuklearen Schatten gesprungen sind. Ausgerechnet in Belgien wurde von einer Regierung mit Beteiligung der Grünen, die eben noch entschlossen waren, den belgischen Ausstieg aus der Kernenergie endgültig zu vollziehen, eine pragmatische Kehrtwende vorgenommen: Die beiden jüngsten Kernkraftwerksblöcke Tihange 3 und Doel 4 sollen aus Gründen der Energieunabhängigkeit statt bis 2025 noch 10 weitere Jahre bis 2036 betrieben werden [1]. Das ist Realpolitik pur.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat vor wenigen Wochen ein konkretes Bauprogramm für sechs neue Reaktorblöcke des Typs EPR2 angekündigt, an drei Standorten mit der Option auf acht weitere Anlagen.

In den Niederlanden hat sich die neue Koalition im vergangenen Dezember als Kompromiss auf die Errichtung von zwei Kernkraftwerksblöcken geeinigt. Das Verfahren steht noch ganz am Anfang, wurde aber seitens der Regierung mit einer Anschubfinanzierung von 500 Millionen Euro bis 2025 versehen.

Großbritannien kündigte an, seine Kernenergiekapazität auf 24 GW bis 2050 auszubauen um damit bis zu 25 % der Stromnachfrage zu decken.

Außer Deutschland hat kein anderer Staat der Welt die Nuklearkatastrophe von Fukushima zum Anlass genommen, aus der Kernenergie auszusteigen. Weltweit sind 438 Kernreaktoren in Betrieb. Stilllegungen und Reaktorneubauten hielten sich in etwa die Waage, so dass die Anzahl sich über 10 Jahre recht konstant hielt.

In den USA 92 sind derzeit Kernreaktoren in Betrieb. In keinem Land gibt es mehr. Die Amerikaner produzieren damit mehr Gigawatt an Strom als Russland und Japan zusammen. Frankreich reiht sich mit 56 betriebenen Reaktoren direkt dahinter ein, gefolgt von China mit 55, Japan mit 33 und Russland mit 37 Reaktoren. Hier ein Überblick:

Quelle: IAEA, entnommen Focus-online 3.10.2022

Die meisten Kernreaktoren werden in Asien betrieben, wo auch der Zubau weiter anhält. Hier ein globaler Überblick über Anzahl betriebener Reaktoren und deren Leistung:

Quelle: IAEA, entnommen Focus-online 3.10.2022

Es ist besorgniserregend, dass die meisten Abgeordneten und Minister unserer Regierung immer noch die Kernenergie angesichts der globalen Kernenergie-Entwicklung ablehnen. Sie erkennen nicht, oder wollen nicht erkennen, dass der grüne Strom den vorhandenen Kraftwerkspark, insbesondere Werke ohne CO2-Emissionen, zur Sicherung der Stromversorgung weiterhin braucht, um Phasen ohne Wind- und Sonnenstrom zu überbrücken, wodurch zwangsläufig teure Doppelstrukturen entstehen.

Preisgünstige Gasimporte stehen Deutschland vorerst – wenn überhaupt jemals wieder – nicht zur Verfügung. Kohle wäre (reichlich) vorhanden, ist aber mit dem Klimaziel nicht vereinbar. Mit dem Kohleausstieg allerdings sägt sich Deutschland den Ast ab, auf dem es noch sitzt. Schiefergas ist (noch) verboten. Was bleibt ist die Kernenergie, die einstmals von Angela Merkel als alternativlos angesehen wurde.

[1] atw International Journal for Nuclear Power, Editorial, 5/2022