Interview von Carsten Korfmacher im NORDKURIER, 11.08.2023
Der Physiker Ulrich Waas ist einer der profiliertesten Kenner der deutschen Kernkraftsicherheit. Im Interview erklärt er, warum die Energiewende ohne Kernkraft eine Stolperstrecke ist.
In den vergangenen Jahren haben Sie sich bei Kernkraftgegnern und in der Atomindustrie Feinde gemacht. Wie kam es dazu, dass Sie, überspitzt gesagt, bei den einen als Lobbyist und bei den anderen als Verräter gelten?
Da muss ich etwas ausholen. Ich habe 1975 in der Industrie angefangen. Damals waren alle für Kernenergie. Aber durch die nuklearen Unfälle von Three Miles Island und Tschernobyl sowie die Gedanken zu Grenzen des Wachstums gab es einen Paradigmenwechsel. Auf diese Debatte hat sich die Industrie nicht richtig eingelassen. Meine Meinung: Es ist verständlich, dass Menschen sich mit Kernenergie unwohl fühlen. Die Kernenergie ist für fast alle Mitbürger eine sehr anonyme Technik und nicht völlig problemlos. Also wenn es gelänge, ein Energiesystem aufzubauen, das ohne Kernkraft für eine Industriegesellschaft funktionierte und das gleichzeitig klimafreundlich wäre, würde ein wesentlicher Grund für die Kernenergie entfallen. Unredlich ist es aber, die Schwierigkeiten des gewünschten neuen Energiesystems dadurch verstecken zu wollen, dass man lediglich über reale oder fiktive Probleme der Kernenergie redet. Diese offene Haltung hat mich bei einigen „ideologischen“ Befürwortern wie auch Gegnern der Kernenergie zur „Unperson“ gemacht.
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